Meinung 2019 muss das Jahr des Grundgesetzes werden
Meinung | Düsseldorf · Das Grundgesetz wird im Mai 70 Jahre alt. Seine Grundsätze sind bis heute stark – wenn man sie denn lebt.
Es gehört zu den Unarten von Journalisten, jegliche Art von Jubiläen und runden Geburtstagen möglichst schon frühzeitig vor dem eigentlichen Datum zu würdigen, um später nicht im allgemeinen Berichterstattungsstrom unterzugehen. Wenn diese Zeitung gleich in ihrer ersten Ausgabe des neuen Jahres das Grundgesetz hervorhebt, das doch erst am 23. Mai 70 Jahre alt wird, tut sie das allerdings aus gutem Grund.
Denn dem Land wäre geholfen, wenn das gesamte Jahr geprägt wäre von einer neuen Wertschätzung des Geistes der 146 Artikel, deren Verkündung vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland markierte.
Die Präambel des Grundgesetzes beschreibt das Deutsche Volk als „von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Und seit 1992 findet das Bekenntnis zur europäischen Einigung auch Niederschlag im neuen Artikel 23: „Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“, heißt es dort im ersten Absatz.
Nur drei Tage nach dem 70. Geburtstag des Grundgesetzes wählen die Deutschen ihre Abgeordneten für das Europäische Parlament. Mit ihrer Wahlentscheidung der europäischen Idee und nicht deren fortschreitender Zersetzung zu dienen, wäre die größte (und auch angemessenste) Ehrerbietung, die sie dabei den Müttern und Vätern des Grundgesetzes erbringen könnten.
Als Konrad Adenauer vor der feierlichen Unterzeichnung davon sprach, „dass heute, mit dem Ablauf dieses Tages, das neue Deutschland entsteht“, war noch nicht abzusehen, welche Gestalt es eines Tages annehmen würde. Das Grundgesetz war noch Verheißung, nicht schon Beschreibung dieses neuen Deutschlands. Dafür waren die Leichenberge noch zu hoch, die Schuld zu groß, die Zerstörungen zu gewaltig, die zwölf Jahre Nazidiktatur in Europa hinterlassen hatten.
Mittlerweile schließt die Präambel seit bald 30 Jahren damit, dass dieses Grundgesetz „für das gesamte Deutsche Volk“ gilt. Das Geschenk der Wiedervereinigung war zugleich ein Geschenk der Werte, die im Grundgesetz verankert sind, an alle Deutschen. Diese Werte wiederzuentdecken und zu verteidigen, ist auch mit Blick auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die Herausforderung dieses Jahres. Denn so klug es auch formuliert wurde: Das Grundgesetz entwickelt seine Stärke nur, wenn man es beherzigt.