Auf der wilden Zielgeraden
Man kennt das von Mittelstrecken-Läufen. Erst rennen alle brav hintereinander her, dann, auf der Zielgeraden, geht wildes Geschubse und Gerangel los. So ist es auch in der Schlussphase des Bundestagswahlkampfs.
FDP und Grüne zum Beispiel befällt plötzlich die Ausschließeritis. Nicht mit euch, sagen die Liberalen zu den Ökos, und die entgegnen, wir auch nicht mit euch, ätschibätschi. Und so geht das munter hin und her wie im Kindergarten, wo die Birte partout nicht mit der Dörte in eine Gruppe will, weil sie die nicht leiden kann. Von der CSU hört man ähnliches gegen die Grünen. Dabei ist Jamaika, also CDU/CSU mit Grünen und FDP, nach den aktuellen Umfragen der wahrscheinlichste aller Wahlausgänge.
Miteinander reden werden die vier also müssen, wenn es so kommt, mindestens das. Der andere derzeit wahrscheinliche Ausgang ist die große Koalition, für die Kanzlerkandidat Martin Schulz soeben aber vier Bedingungen formuliert hat, von denen er glaubt, dass drei mit der Union nicht kompatibel sind. Sowieso nicht sein scherzhaft gemeinter Vorschlag, dass Angela Merkel unter ihm Vizekanzler werden könne, wenn sie wolle. Selten so gelacht. Es ist noch nicht komplett erforscht, warum sozialdemokratische Kanzlerkandidaten auf der Zielgeraden immer versuchen, mit zweifelhaften Witzen aufzufallen. Siehe Peer Steinbrücks Stinkefinger vor vier Jahren. Vielleicht ist es so eine Art Galgenhumor.
Über 40 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen. Sie schauen diesem Zieleinlauf zu, lassen sich vielleicht noch beeinflussen. Oder sie wenden sich ganz ab. Es ist normal, dass die Parteien, die um diese Wähler buhlen, in der Schlussphase alles noch einmal zuspitzen. Dass sie sich härter abgrenzen von der Konkurrenz. Dass die Forderungen unbedingter werden. Dass so getan wird, als bräuchte man hinterher gar keine Koalition. Dass alles kann man verstehen. Aber die Parteien sollten es mit der Beleidigung der Intelligenz der Wähler auch nicht übertreiben.