Meinung Bericht zum Stand der deutschen Einheit - Aufholen, ohne einzuholen
Die regelmäßigen Berichte zum Stand der deutschen Einheit sind zu einem bloßen Ritual erstarrt. Iris Gleicke, die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, muss sich am Mittwoch bei der Vorstellung der aktuellen Ausgabe dann auch wie eine einsame Ruferin in der Wüste vorgekommen sein.
Keine Dax-Konzernzentralen im Osten, eher kleinteiliges Wirtschaften, vergleichsweise geringe Forschungskapazitäten — solche Strukturdefizite waren nahezu wortgleich auch schon in den Berichtsausgaben der Vorjahre nachzulesen. Durchschlagende Konsequenzen? Fehlanzeige.
Sicher ist Schwarzmalerei unangebracht. Genauso wie Schönfärberei. Fest steht, dass der Osten weiter Fortschritte macht, aber dem Westen in entscheidenden Kennziffern trotzdem nach wie vor klar hinterher hinkt. Aufholen, ohne einzuholen - diese Lage droht sich zu verfestigen. So liegt zum Beispiel das Steueraufkommen in den neuen Ländern nahezu flächendeckend noch unter dem der finanzschwachen Länder im Westen. Beim Abbau der Arbeitslosigkeit gibt es zwar große Lichtblicke. Aber näher betrachtet sind sie vor allem auf Abwanderung und eine wachsende Alterung der Bevölkerung im Osten zurückzuführen. Womit auch die größte Herausforderung für die neuen Länder umschrieben wäre: Wenn in vielen Gegenden Arztpraxen und Geschäfte dicht machen und der Nahverkehr weiter ausgedünnt wird, dann ist die allgemeine Daseinsvorsorge immer schwerer zu organisieren. Hier sind schlüssige Konzepte gefragt. Ohne weitere finanzielle Sonderhilfen wird es auch nicht gehen. Und die werden ebenfalls zum Kraftakt, wenn man bedenkt, dass europäische Gelder wegen des EU-Austritts von Großbritannien künftig spärlicher fließen dürften und auch strukturschwache Regionen in den alten Bundesländern mehr Unterstützung einfordern.
Eine neue Bundesregierung steht hier vor riesigen Herausforderungen. Mit bloßen Wasserstandsmeldungen zum Stand der Einheit ist es nicht getan.