Die Datendiebe von Wikileaks

Julian Assanges Enthüllungen - von banal bis lebensgefährlich.

Weltweit versorgen Botschafter und Konsuln ihre Regierung in der Heimat mit Informationen, Stimmungsbildern und Einschätzungen aus den Ländern, in denen sie "auf Posten" sind. Das ist diplomatisches Tagesgeschäft und hat nichts mit perfider Bespitzelung zu tun, wie sie beispielsweise in der untergegangenen DDR gang und gäbe war.

Dass Außenminister Westerwelle als eitel gilt und Bundeskanzlerin Merkel als zögerlich, lässt sich unschwer auf deutschen Polit-Barometern ablesen. Wer solche Erkenntnisse nach Washington kabelt, bedient allenfalls ein allzu menschliches Vergnügen an Klatsch, hat aber keine Erkenntnisse von Substanz mitzuteilen. Bis dahin sind die vor aller Welt offen gelegten US-amerikanischen Depeschen harmlos und banal.

Gefährlich, in besonderen Fällen sogar lebensgefährlich, wird es, wenn wahllos und aus reiner Freude am Geheimnisverrat neben Info-Müll auch sensible Interna aus Verhandlungen ausgeplaudert werden, die aus gutem Grund geheim bleiben müssen. Denken wir an Friedensbemühungen im Nahen Osten oder an den Umgang mit Terroristen. Gewissenhafte Medien wissen, wo die Grenzen einer freiheitlichen Gesellschaft verlaufen. Sie bedenken, was sie mit Veröffentlichungen bewirken oder anrichten können, ordnen Erkenntnisse ein und kommentieren sie.

Die Datendiebe von Wikileaks hingegen besitzen noch die Niedertracht, vor der Veröffentlichung der Geheimpapiere die US-Regierung aufzufordern, Personen zu benennen, deren Namen geschwärzt werden müssen. Wikileaks-Oberhaupt Julian Assange schwingt sich damit zum Herrn über Wohl und Wehe auf. Jeder kann sich unschwer ausmalen, welche Wirkung eine solche Schwarze Liste hat, wenn Wiki-leaks sie in der nächsten Enthüllungsrunde ins Internet stellt.

Eins zeigt der nach den Afghanistan-Papieren zweite Vorstoß der selbsternannten "Kämpfer für Freiheit durch Information" deutlich: dass in einer Welt der Inter-Netzwerke die alten Spielregeln von Vertrauen und Verantwortung mit leichter Hand gebrochen werden und die Grenzen zur Kriminalität fließend sind. Das ist der wirkliche Gau, den Washington in diesen Tagen erlebt und den die Weltmacht mit rechtsstaatlichen Mitteln offenbar nicht in den Griff bekommt.