Die Sozialdemokratie steckt in der Krise

150 Jahre SPD: Arbeiter-, Volkspartei und . . .?

Sigmar Gabriel, der nie um einen Spruch verlegen ist, sagte einmal, dass die SPD da sei, „wo es stinkt und brodelt“. Vor 150 Jahren hätte Ferdinand Lassalle diese Aussage des SPD-Chefs gewiss so unterschrieben. Denn für den Vater der Sozialdemokratie sollte die SPD eine Arbeiterpartei sein. Seine Philosophie war so einfach wie einleuchtend: Jeder humanistisch denkende Mensch habe zu den Arbeitern zu stehen, weil erst die Freiheit der Schwächsten und Ärmsten auch alle anderen befreien würde.

In den 1950er Jahren reifte die SPD mit ihrem Godesberger Programm zur Volkspartei der linken Mitte, die an eine gerechte Gesellschaft glaubte und an den Aufstieg durch Bildung. „Mehr Demokratie wagen“ nannte das weiland Willy Brandt. Eine Bewegung, der die Massen folgten.

Heute ist von dieser Strahlkraft nicht viel übrig. Die Mitgliederzahl hat sich seit den 1970er Jahren halbiert. Bei der Bundestagswahl 2009 machten so wenig Wähler wie nie zuvor ihr Kreuzchen bei der SPD. Die Rückkehr ins Kanzleramt ist fraglich. Zu unglücklich agiert der — in der Partei ohnehin mit zu wenig Rückhalt gesegnete — Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

Da mag die SPD an Rhein und Ruhr am Dienstag noch so selbstbewusst die Losung „40 Prozent plus x“ für den Urnengang ausgegeben haben — die Sozialdemokratie steckt 150 Jahre nach ihrer Gründung in ihrer schwersten Krise. Von Feierlaune keine Spur.

Die fraglos historischen Leistungen sind der SPD nicht zu nehmen. Die Ostpolitik ist eine davon. Und Gerhard Schröders Agenda 2010 ist es zu verdanken, dass Deutschland heute wirtschaftlich viel besser dasteht als seine europäischen Partner. Das Problem ist, dass sich die Partei mit ihrem selbst verordneten Modernisierungskurs und dem Schwenk zur Mitte von ihrem Markenkern verabschiedet hat.

Die Genossen haben übersehen, dass es den klassischen SPD-Wähler nicht mehr gibt. Dass die Gesellschaft immer komplexer wird. Der Satz „Arbeit gegen Kapital“ ist Geschichte, denn die Arbeiter von einst steigen ins Bürgertum auf oder rutschen ins Prekariat ab. Die SPD muss die Frage beantworten, wie soziale Gerechtigkeit heute aussieht. Sie muss Antworten geben auf die Eurokrise und den demografischen Wandel. Dann hat sie auch wieder einen Grund zum Feiern.