Meinung Eine billige Provokation
Es ist unwahrscheinlich, dass der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sich nach dem Freitagsgebet eine Bibel bringen ließ, um vorsichtshalber im Matthäus- oder Lukas-Evangelium nachzulesen, was es da mit diesem Weihnachten so auf sich hat, um nach vollendeter Lektüre entsetzt einen Schulleiter telefonisch anzuweisen, dieses staatsfeindliche Treiben mal flott zu verbieten.
Friede auf Erden? Fürchtet Euch nicht? Nicht mit Recep Tayyip Erdogan! Da der türkische Staatspräsident sich intellektuell eher auf dem Niveau von Cora Schumacher (Zitat: „Büchermäßig bin ich nicht so lesetechnisch unterwegs.“) bewegt, ist es wahrscheinlicher, dass Erdogan mal wieder durch abseitige deutsche TV-Kanäle zappte, dort Didi Hallervorden erblickte, der absurderweise beim Adventssingen des Deutschen Bundestages eine Botschaft an Erdogan absonderte, und dann auf Rache sann. Palim, palim!
Die absurde Weihnachts-Affäre wäre tatsächlich schreiend komisch, wenn sie nicht einmal mehr offenbarte, dass dem Möchtegern-Pascha wirklich keine Provokation zu billig ist, um die Spaltung zwischen der Türkei und Europa voranzutreiben. Bisher hat die deutsche Politik sich atemberaubend viel von ihm bieten lassen. Als an dem gleichen Gymnasium, das von einem treuen AKP-Funktionär geleitet wird, dem deutschen Generalkonsul im Sommer die Ansprache vor den Abiturienten mit der Begründung untersagt wurde, dass der Bundestag über die Armenien-Resolution abgestimmt habe, fielen die politischen Kommentare noch gemäßigt aus. Das könnte beim Angriff auf die deutsche Weihnacht anders sein — mit Folgen.
Im deutsch-türkischen Verhältnis hat Erdogan wirtschaftlich und politisch viel zu verlieren, während es ihm innenpolitisch immer weniger gelingt, der von Terror-Furcht und Säuberungs-Angst gepeinigten Bevölkerung vorzugaukeln, dass der AKP-Apparat stabile Verhältnisse herstellen kann. Am Ende dieses Jahres hat Erdogan deutlich weniger Kekse auf dem Weihnachtsteller als zuvor.