EU-Beitritt: Der Dialog mit Ankara darf nicht abreißen
Obamas Vorstoß zum Trotz: Die Türkei ist nicht reif für die EU.
Die europäische Empörung über Barack Obama ist gespielt. Tatsächlich überrascht es kaum, dass der US-Präsident die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union fordert.
Als Schnittstelle zwischen Abend- und Morgenland wächst die strategische Bedeutung des Nato-Partners - nicht nur, weil Obama auf türkische Hilfe bei der weiteren Stabilisierung des Iraks angewiesen bleibt: Eine "Modell-Partnerschaft" mit diesem muslimischen Land würde auch generell dazu beitragen, das vielfach von Hass und Vorurteilen geprägte Verhältnis zwischen der islamischen und der christlichen Welt zu entkrampfen.
Um die Argumente für eine Aufnahme Ankaras weiß auch die EU, dennoch stellt sich die Situation aus Brüsseler Sicht komplexer dar. Offenbar schwindet der Optimismus, die Türkei werde sich im Sog ihres Wirtschaftswachstums innerhalb kürzester Zeit auch gesellschaftlich modernisieren.
Je länger die EU darauf wartet, desto deutlicher wird, dass die Türkei zentrale Werte des Westens nicht teilt. Noch immer ist die Zahl der "Ehrenmorde" an Frauen hoch, noch immer werden religiöse Minderheiten gegängelt, noch immer bleibt das Bekenntnis zur Pressefreiheit halbherzig.
Auch Premier Erdogan trägt mit seinen Muskelspielen dazu bei, Vorbehalte zu verfestigen. Als er sich zum Fürsprecher der Muslime aufschwang und den Dänen Rasmussen als neuen Generalsekretär der Nato mit Verweis auf den Karikaturenstreit ablehnte, schürte er jenen Kulturkampf, den Obama so gern mit Hilfe der Türkei entschärfen würde.
All dies belegt, dass die Türkei nicht reif ist, in die europäische Wertegemeinschaft aufgenommen zu werden. Da kann Erdogan noch so vehement Ankaras Schlüsselrolle in der Energiesicherheit mit der Beitrittsfrage verknüpfen: Brüssel darf sich auf ein solches Polit-Geschacher nicht einlassen.
Trotz allem sollte den Europäern der Geduldsfaden nicht reißen. Es geht darum, jene Kräfte zu stärken, die das Land auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit vorantreiben wollen. Denn eine moderne Türkei als EU-Vollmitglied wäre tatsächlich ein Glücksfall. Auch wäre eine diplomatische Eiszeit angesichts der bisher mäßigen Integration von Millionen Türken in Deutschland ein verheerendes Signal.