Nato: Ein Militärbündnis auf der Sinnsuche
Die Nato feiert Geburtstag, und niemand weiß so recht, was aus der Militärorganisation geworden ist, die Jahrzehnte im Osten einen klar definierten Feind und damit eine ebenso klare Aufgabe hatte. Ein Verteidigungsbündnis mit territorial begrenztem Beistandsgebiet?
Das ist sie gewiss nicht mehr, auch wenn im Deutschen Bundestag die Regierung diese Fiktion aufrechterhalten will. Wie anders ist das Strucksche Diktum zu erklären, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt? Hätte George W. Bush sich nicht für die Besetzung Afghanistans entschieden, niemand in Berlin wäre auf die Idee gekommen, deutsche Soldaten an die chinesische Grenze zu schicken. Ist die Nato also eine Interventionsarmee, weltweit im Einsatz in fragwürdigen Kriegen? Die sich nicht nur über die UN hinwegsetzt, sondern sich selbst schon an deren Stelle setzt? Die Tendenz besteht, es ist sicher aber nicht die volle Wahrheit.
Schon beim Nato-Gipfel vor zwei Jahren in Warschau war die Sinnkrise mit Händen zu greifen. Die Nato sei zu einem "Werkzeugkasten" geworden, aus dem sich die Vormacht USA nach Bedarf bediene. Von der ersten "sich selbst finanzierenden Fremdenlegion" der Geschichte sprachen europäische Teilnehmer. Was Unfug ist: Alle Imperien sicherten sich auf diese Art militärische Gefolgschaften. Schon das alte Rom kannte die "Freunde des römischen Volkes", ein vom Senat verliehener Titel, der den so geehrten Völkern die Regelung der inneren Angelegenheiten überließ, solange sie nur Hilfstruppen für Roms Kriege stellten.
Wohin aber geht die Nato? Für die Bush-Administration war sie vor allem auch Instrument zur "Eindämmung" Russlands und Sprungbrett für die militärischen Kontrolle des eurasischen Raumes. Das kam Polen und Balten entgegen, zu deren historischem Erbe die nicht unbegründete tiefe Angst vor russischer Bedrohung gehört. Obama unterzieht diese Strategie derzeit einer Revision mit noch offenem Ausgang. Nicht weil geostrategische Ziele sich geändert hätten, sondern weil die Prioritäten sich verschoben haben. Ein System gemeinsamer Sicherheit unter Einschluss Russlands steht dabei aber kaum auf der Agenda, auch wenn viele in Europa sich das wünschten. Der Nato-Gipfel in der kommenden Woche dürfte erste Fingerzeige geben - mehr nicht.