Zur Lage der Union: Der Machtinstinkt funktioniert
Ein Kommentar von Angela Gareis
Das Erscheinungsbild der CDU ist seit Wochen mindestens unordentlich. Man streitet und kritisiert die Führung, die Umfragewerte sinken. Prominente Christdemokraten stellen sich nun aber vor, hinter oder neben Angela Merkel. Selbst jene, die lieber deren Platz einnehmen würden. Von einem solchen Effekt hat Kurt Beck mutmaßlich geträumt. Disziplinierend aber wirkt auf Sozialdemokraten eher Autorität und inzwischen das Wissen darum, dass die Anzahl der möglichen Vorsitzenden höchstwahrscheinlich aufgebraucht ist, wenn ein Ex-Vorsitzender wieder Vorsitzender wird. Franz Müntefering jedenfalls hat die SPD beruhigt, was mehrere Gründe hat, aber nicht diesen: Machtinstinkt.
Der Machtinstinkt, der unbedingte Wille zu regieren, ist Politikern von CDU und CSU anders als den allermeisten Sozialdemokraten gewissermaßen angeboren. Wenn es dafür der Geschlossenheit bedarf, so werden die Reihen entschlossen geschlossen. Normalerweise. In Zeiten vielfältiger Umbrüche können jedoch auch ungeschriebene Unionsgesetze außer Kraft geraten, sobald identitätsstiftende Elemente verloren gehen.
Wenn man die Verstörung der SPD mit zwei Schlagworten grob fassen will, dann lauten diese: HartzIV und Rente mit 67. Beide Reformen haben dazu beigetragen, viele Soziademokraten in ihrem Selbstverständnis zu erschüttern. Bei der Union mehren sich die Anzeichen dafür, dass zwei Schlagworte ähnliche Verletzungen unter Mitgliedern kennzeichnen: Papst-Kritik und Verstaatlichung. Dass Spitzenpolitiker - sogar Horst Seehofer - die Kanzlerin stützen und die Union, also sich selbst zur Ordnung rufen, verrät erstens etwas über Angst und zweitens einiges darüber, wo sie herkommt.
Ministerpräsidenten wie Jürgen Rüttgers oder Roland Koch, die ihre Bundesvorsitzende Angela Merkel mehr aus Räson denn aus Überzeugung verteidigen, nehmen Verunsicherungen an der Basis intensiver wahr als Parteifunktionäre in Berlin. Papst-Kritik und Verstaatlichung kanalisieren womöglich ein diffuses Entfremdungsgefühl unter Unionsanhängern. In den kommenden Wochen wird es interessant sein zu beobachten, welche Reichweite die von der Unionsführung beschlossene Geschlossenheit entfalten wird.