Unterhalts-Urteil: Unversöhnliche Werte prallen aufeinander
Die Ehe, das Kindeswohl und die finanziellen Nöte.
Gerecht oder ungerecht? Beim Urteil über das Unterhalts-Urteil des Bundesgerichtshofs stoßen Wertvorstellungen aufeinander. Und die Geschlechter.
Der Konservative sagt: Der Staat muss die Ehe schützen. Und das tut er am besten dadurch, dass er die Folgen der Ehe auch noch nach einer Scheidung möglichst lange nachwirken lässt - durch umfassende Unterhaltspflichten. Und: Eine Mutter muss beim Kind sein. Das kann sie nicht, wenn sie gezwungen wird, arbeiten zu gehen.
Der Realist hält dagegen: Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Die Lebenskonzepte sind andere als noch vor 50 Jahren, die Hausfrauenehe ist längst nicht mehr der Regelfall. Scheitert die Ehe, so muss jeder Ex-Partner auf eigenen Beinen stehen. Im übrigen gibt es mittlerweile ausreichend Betreuungsplätze, die dem Kind auch in seiner sozialen Entwicklung guttun.
Die Frau sagt: Ich muss die Kinder versorgen und auch noch arbeiten. Und mein Ex macht sich nach dem Arbeitstag einen gemütlichen Feierabend.
Der Mann hält dagegen: Für den Kindesunterhalt zahle ich selbstverständlich gern. Aber der zusätzliche Betreuungsunterhalt für meine Ex, die nicht arbeiten geht, schnürt mir finanziell die Luft ab. Eine Perspektive für einen zweiten Anlauf mit einer neuen Familiengründung gibt es so für mich nicht. Für mich auch nicht, kontert die mit Erziehung und Job doppelt belastete Frau.
Gerecht oder ungerecht - diese Frage ist, jedenfalls im Grundsatz, längst entschieden. Nicht erst durch das gestrige Urteil. Es war der Gesetzgeber, der im vergangenen Jahr mit dem neuen Unterhaltsrecht die Pflöcke für eine kürzere Bezugsdauer des Betreuungsunterhalts eingeschlagen hat. Das Gesetz setzt den Betreuungsunterhalt zwar bei mindestens drei Jahren an, gibt den Familienrichtern aber ausreichend Spielraum, Härtefälle abzufedern.
Einen Automatismus nach dem Motto "nach drei Jahren muss die Alleinerziehende ihr Kind allein lassen" gibt es nicht. Weder das Gesetz noch der höchstrichterliche Spruch scheren da alle Fälle über einen Kamm. Es bleibt ausreichend Raum für Korrekturen des Grundsatzes. Gerecht oder ungerecht - das ist nicht nur eine politisch-gesellschaftliche Grundsatzfrage, sondern vor allem eine Frage des Einzelfalles.