Nach Europawahl-Debakel Warum die Volksparteien an ihrem Schicksal selbst schuld sind

Meinung | Berlin · Am beschleunigten Abstieg von CDU und SPD hierzulande sind beide auch selbst schuld. Sie sind ihrer eigentlichen Aufgabe als Volksparteien nicht mehr gerecht geworden. Ein Kommentar.

Andrea Nahles, Bundesvorsitzende der SPD.

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Grüne hier, AfD da. Nie war Deutschland so polarisiert. Dazu noch West und Ost. Die Parteien der Mitte verlieren. Das ist keine gute Entwicklung. Denn damit nimmt auch die Kompromissfähigkeit der Gesellschaft ab.

Volksparteien repräsentieren viele Schichten und Haltungen und sorgen zwischen ihnen für einen Ausgleich. Sie sorgen für eine Politik der Mitte, die das Land voranbringt. So das Idealbild. Es gibt viele objektive Gründe dafür, dass es nicht mehr trägt. Das Schwinden der alten Arbeiter-Milieus macht der SPD zu schaffen. Bei der CDU ist es der Verlust ländlich-christlicher Strukturen. Diese Entwicklungen finden überall statt und sorgen in ganz Europa für Veränderungen der Parteienlandschaft.

Am beschleunigten Abstieg von CDU und SPD hierzulande sind beide jedoch auch selbst schuld. Sie sind ihrer eigentlichen Aufgabe als Volksparteien nicht mehr gerecht geworden – nämlich Probleme frühzeitig im Kompromisswege zu lösen. Und die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Erst recht nicht in der großen Koalition. Stattdessen haben sie sich umlauert, von Wahlkampf zu Wahlkampf gedacht. Sie hätten begreifen müssen, dass sie nur gemeinsam Erfolg haben – oder gemeinsam bestraft werden. Jeder hätte dem anderen Partner mehr Spielraum und mehr klare Punkte gönnen müssen, statt alles zu verwässern und zu verzögern. Soliabbau hier und Grundrente da. Beides und nicht beides halb. Das hätte überzeugt. Dafür vielleicht das Baukindergeld nicht.

Werner Kolhoff.

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Beim Klimaschutz ist das am deutlichsten. Wenn Union und SPD viel früher konsequenter gehandelt hätten, müssten die Einschnitte jetzt nicht so heftig werden. Es wäre dabei egal gewesen, ob man auf neue Technologien, Marktanreize, Verbote oder eine Mischung aus allem gesetzt hätte - Hauptsache der international vereinbarte Pfad der CO2-Verringerung wäre eingehalten worden. Jetzt sortieren sich die Lager radikaler: Zu den Grünen, denen man konsequentes Handeln zutraut. Und zu den Rechtspopulisten, die die Existenz einer menschengemachten Klimakrise einfach leugnen. Jetzt wird die Auseinandersetzung richtig hart.

Im Grunde war es beim Flüchtlingsthema ähnlich, obwohl man der Großen Koalition hier zugestehen muss, dass sie von der Entwicklung überrannt wurde. Aber dann hat sie die Lösung – eine Mischung aus Eindämmung des Zustroms, Abschiebungen und konsequenten Integrationsanstrengungen – viel zu spät gefunden und so anderen Raum gegeben: Vor allem der AfD mit ihrer Politik der Ausgrenzung.

Bei den im Hintergrund anwachsenden sozialen Themen, allen voran der Altersarmut, der Chancenungerechtigkeit in der Bildung und der Vermögensungleichheit, droht eine Wiederholung der Versäumnisse. Auch hier werden Wut und Frust die Folge sein – und sich wieder in Protestwahl entladen. Wenn die Volksparteien es nicht schaffen, Probleme abzuräumen, bevor sie die Gesellschaft in scharfe Lager spalten, braucht man sie nicht mehr. So einfach ist das.