Meinung Der Brexit ist ein abschreckendes Beispiel

Meinung | Berlin · Das ist schon bitter. Ausgerechnet im Mutterland der Demokratie geht es politisch drunter und drüber. Wer die Brexit-Debatte am Dienstag im britischen Unterhaus verfolgt hat, der spürte, dass die Abgeordneten, ganz gleich welcher Couleur, praktisch nur einen gemeinsamen Nenner kannten: ihren Widerstand gegen das mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen.

Stefan Vetter.

Stefan Vetter.

Foto: k r o h n f o t o . d e

Wofür sie genau stehen, blieb ein Geheimnis. Der konstruktive Gedanke, der Kompromiss, ist jedoch das Herzstück jeder Demokratie. Wenn dieses Herz nicht mehr schlägt, wenn es keine Mehrheiten für gar nichts mehr gibt, droht akutes Chaos. Und genau an diesem Punkt ist Großbritannien jetzt.

Das ganze Gewürge bei der Scheidung von der Europäischen Union ist ein abschreckendes Beispiel auch für Deutschland. Denn auch hierzulande reden Populisten einem EU-Austritt das Wort. Und wie gut man damit leben werde. Solchen demagogischen Versprechungen sind die Briten auf den Leim gegangen. Gerade erst hat die AfD ihr Europawahlprogramm auf einen Abschied von der EU ausgerichtet. Am Ende zwar mit ein paar kosmetischen Retuschen. Aber die Stoßrichtung bleibt. Dabei profitiert kein anderer Mitgliedsstaat dank seiner Exportindustrie so stark vom gemeinsamen Binnenmarkt wie Deutschland. Kein anderes Land hat deshalb auch so große Vorteile vom Euro wie Deutschland. Freies Reisen auf dem alten Kontinent ist eine Selbstverständlichkeit geworden, die manchen erst wieder zu Bewusstsein kommt, wenn sich für Reiseziele anderswo bürokratische Hürden auftun.

Die Briten zeigen gerade, wie schnell europäische Errungenschaften den Bach runter gehen können. Sage also niemand, er hätte bei der Europawahl im Mai nicht wirklich eine Wahl. Wenn die Populisten auch im Europarlament die Oberhand bekämen, wäre der Rückfall in egoistische Nationalstaatlichkeit auch dort programmiert. Großbritannien in seiner besorgniserregenden Verfassung gäbe dafür nur einen Vorgeschmack. Gerade deshalb gibt es aber auch Grund zur Hoffnung. Welche andere Regierung mag ihren Bürgern einen EU-Austritt jetzt noch zumuten?

Kommt es zu einer ungeregelten Abkehr von Brüssel, wären nicht nur die wirtschaftlichen Folgen verheerend. Selbst ein schon lange befriedeter Konflikt wie der in Nordirland könnte wieder aufflammen. Um einen unkontrollierten Brexit zu verhindern, muss auch die EU konstruktiver werden. Das Austrittsabkommen ist in unveränderter Form sicher nicht zu retten. Also muss über Alternativen nachgedacht werden. Und vielleicht entfaltet ja die Angst vor dem kompletten Chaos eine heil­same Wirkung auch bei britischen Populisten. Im Moment freilich ist das kaum mehr als ein Wunsch.