Nötige Einmischung der Christen

Der Evangelische Kirchentag gibt differenzierte Antworten

Düsseldorf. Es ist schwer zu sagen, womit der deutsche Protestantismus mehr Probleme hat: mit dem wachsenden christlichen An- alphabetismus; mit spirituellen Sehnsüchten, die durch Kirchentraditionen nicht mehr befriedigt werden; oder mit dem Vorwurf, Religionen seien als Friedensstifter überfordert und stattdessen oft selbst Ursache von Gewalt.

Keines dieser Probleme ist mit dem Kirchentag in Dresden gelöst. Aber das unerwartet große Christentreffen im überwiegend konfessionslosen Sachsen hat sie in einer Ernsthaftigkeit diskutiert, die jenseits aller Klischees einer belanglos-naiven Massenveranstaltung zum Wohlfühlen liegt. Schwarz-Weiß-Denken war in Dresden spürbar weniger zu entdecken als auf Kirchentagen früherer Jahrzehnte.

Die Diskussion zwischen dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und Verteidigungsminister Thomas de Maizière zur Vereinbarkeit von Friedensethik und Verteidigungspolitik war ein eindrückliches Beispiel dafür. Im Bewusstsein, dass Schuld durch Tun wie durch Unterlassen entstehen kann, rangen zwei Christen um ihre Haltung zum Einsatz von Gewalt und um differenzierte Antworten auf die schwierigen Fragen von Krieg und Frieden.

Aber auch die Notwendigkeit des verstärkten Einbindens des Islam in den christlichen Dialog mit dem Judentum, die Energiewende und das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat haben vielen Veranstaltungen ihren Stempel aufgedrückt.

Was macht evangelischen Glauben aus? Und welche Verantwortung erwächst daraus für das gesellschaftliche Leben? Mit diesen Fragen hat der Kirchentag die Evangelische Kirche daran erinnert, dass zu viel Nabelschau dem christlichen Auftrag im Wege steht.

Der verzagte Blick auf sinkende Mitgliederzahlen mag aus der Innensicht verständlich sein. Aber zu einem besseren Leben hilft er weder den Christen noch der Welt, in der sie leben. Doch die Sehnsucht nach Orientierung ist groß. Der Erfolg des Kirchentags hat bestätigt, dass diese Orientierung auch weiter im Christentum gesucht wird.

In Dresden ist es der Kirche an vielen Stellen gelungen, fundiert Position zu beziehen, ohne sich in Selbstgerechtigkeit zu verlieren. So verstanden, ist christliche Einmischung in die gesellschaftliche Diskussion nicht nur berechtigt, sondern auch nötig.