Meinung SPD verharrt im Stillhalte-Modus
Meinung · Kann aus der Wahl des neuen Führungsduo ein Aufbruch entstehen, wie er in Berlin beschworen wurde? Möglich ist Vieles in der Politik. Aber wahrscheinlich ist es in diesem Fall nicht.
Rund ein Dutzend Vorsitzende hat die SPD allein seit der Jahrtausendwende verschlissen. So wurde das angeblich schönste Amt neben dem Papst zum Schleudersitz. Wie erwartet wählte der Parteitag in Berlin nun eine weithin unbekannte schwäbische Bundestagsabgeordnete und einen pensionierten Ex-Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen zum Führungsduo. Kann daraus ein Aufbruch entstehen, wie er in Berlin beschworen wurde? Möglich ist Vieles in der Politik. Aber wahrscheinlich ist es in diesem Fall nicht.
In Wahrheit geht es bei dem Konvent ja darum, die in der Phase der Urabstimmung über die neuen Vorsitzenden aufgekommene Putsch-Stimmung gegen die große Koalition in geordnete Bahnen zu lenken. Vor allem Saskia Esken hatte für den Ausstieg getrommelt. In ihrer Parteitagsrede suchte sie dieser Linie mit linker Seelenmassage treu zu bleiben, scheute aber die Konsequenz: eine klare Abstimmung über den Verbleib in der Regierung anzuzetteln. Derweil unterschied sich die Rede ihres Co-Chefs Norbert Walter-Borjans kaum von den Ansprachen früherer Parteivorsitzender. Hier die Scharfmacherin, dort der Versöhner. Bei dieser Rollenverteilung wird es bleiben. Denn damit können beide Flügel leben. Es ist ein Stillhalteabkommen, wie man es bislang eher von der Linkspartei kannte. Dort will der eine Teil pragmatisch etwas verändern, und der andere will lieber recht haben.
Ein spektakulärer Ausdruck dafür wäre auch eine Kampfabstimmung zwischen Arbeitsminister Hubertus Heil und No-Groko-Rebell und Juso-Chef Kevin Kühnert um einen Stellvertreterposten gewesen. Dass der Showdown abgeblasen wurde, indem man die Zahl der zu wählenden Parteivize kurzerhand doch wieder erweiterte, spricht zwar allen Bekenntnissen zur Verschlankung der Parteistrukturen Hohn. Die Operation zeugt aber auch davon, dass es Regierungs-Anhängern und -Kritikern gleichermaßen wichtig war, einen Bruch zu vermeiden.
Zwei Personen an der Spitze – und auch im übertragenen Sinne wird man es künftig mit zwei Gesichtern bei der SPD zu tun haben: Minister und Bundestagsfraktion, die ihren Koalitionsjob machen, und eine Parteiführung, die der Groko fernsteht. Einstweilen muss das für die SPD nicht schlecht sein. Viele Genossen könnten so tatsächlich ihren Seelenfrieden finden. Die Frage ist nur, wie die Partei damit im nächsten Wahlkampf umgehen will. Sozialdemokratische Erfolge lassen sich jedenfalls kaum als solche verkaufen, wenn das Regierungsbündnis mit der CDU stetig bekrittelt wird. Den beiden neuen Vorsitzenden fehlt die Autorität, dieses Dilemma aufzulösen. So oder so.