Meinung Der Schwung nach dem ersten Pisa-Schock ist weg
Meinung | Berlin · Seit den ersten Pisa-Ergebnissen im Jahr 2001 sind viele Reformen im deutschen Bildungssystem angeschoben worden, doch die Bilanz fällt zwiespältig aus.
Von Hagen Strauß
Wenn Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) jetzt eine „nationale Kraftanstrengung“ fordert, dann dürfte dahinter auch eine gehörige Portion Frust stecken. Denn im Bildungsbereich ist die Bundesregierung meist auf den guten Willen der Länder angewiesen, und die zeigen dem Bund gerne die rote Karte. Aus Sorge um ihre Kompetenzen. Zuletzt Bayern und Baden-Württemberg mit ihrem Ausstieg aus dem Nationalen Bildungsrat.
Die neuesten Pisa-Ergebnisse müssen in der Tat aufrütteln. So schwinden oder stagnieren die Kompetenzen deutscher Schüler im internationalen Vergleich – der Nachwuchs ist alles in allem lediglich etwas besser als Mittelmaß und weit von der Spitze entfernt. Wenn jeder Fünfte im Alter von 15 Jahren nicht einmal auf Grundschulniveau lesen kann, dann muss einem angst und bange werden um die Zukunft der Republik.
Zwar hat die Ökonomisierung des Bildungssystems mitunter mehr geschadet als genutzt, Stichwort G8, doch bleibt wahr: In Zeiten des Fachkräftemangels sind gut ausgebildete Schüler eine Voraussetzung dafür, dass der Wohlstand in Deutschland erhalten bleibt. Es stellt sich die Frage, was die Politik dafür tut. Und da lohnt sich zunächst ein Rückblick: Es war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die 2008 die „Bildungsrepublik“ ausrief. Es folgten diverse Gipfel mit den Ländern. Schaut man auf die Bilanz der vergangenen elf Jahre, so fällt sie sehr gemischt aus.
Es gibt mehr Studienanfänger, aber nach wie vor zu viele Schulabbrecher. Dem Ziel, den Anteil der Ausgaben für Bildung und Forschung auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, hat man sich angenähert. Zugleich sind viele Schulen marode und Lehrer Mangelware. Und nach wie vor ist es so, dass die soziale Herkunft meist über den Bildungserfolg entscheidet.
Der erste Pisa-Schock 2001 hat das Land durchgerüttelt. Danach wurde reformiert, wurden Strukturen verbessert, die Qualität bei Lehre und Betreuung ebenfalls. Dann kam Merkel mit der Bildungsrepublik. Doch die Dynamik von einst ist verschwunden. Obwohl zu den alten Herausforderungen neue hinzugekommen sind. Vor allem bei Integration, Betreuung und Inklusion hapert es weiter.
Gewiss, es gibt wichtigere Dinge im Leben als Pisa-Punkte und OECD-Bewertungen von Schülern. Ständig besser zu sein als andere macht jemanden noch nicht automatisch zu einem besseren Menschen. Aber ohne gute Bildung und gute Bedingungen wird eine Gesellschaft nicht vorankommen. Deswegen liegt Ministerin Karliczek völlig richtig, jetzt eine bildungspolitische und nationale Kraftanstrengung zu fordern. Nur muss sie davon auch die Länder überzeugen. Das wiederum dürfte ihr nur schwer gelingen.