Meinung Beim Mitgliederentscheid der SPD triumphiert das Bauchgefühl

Meinung · Das wird die SPD kräftig durchschütteln. Mit der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihren Vorturnern haben wohl nur die Wenigsten gerechnet.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken haben die Abstimmung gewonnen. Das unterlegene Kandidaten-Duo Olaf Scholz (SPD, r) und Klara Geywitz verlassen das Podium

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die Politik  ist eben immer noch für eine Überraschung gut. Ob die den Sozialdemokraten zum Nutzen reicht, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die Genossen haben sich für volles Risiko entschieden. Die Hoffnungen der Partei ruhen jetzt auf einer Frau, die weithin unbekannt ist, und einem Mann, der seine politische Zukunft eigentlich schon hinter sich hatte. Bauchgefühl triumphierte über Pragmatismus.

Dass es so weit kommen konnte, hat mit dem Niedergang der SPD als Volkspartei zu tun. Man ist zu einer Graswurzelbewegung geworden, die ihre etablierten Führungsleute nur noch leid ist. Zumal diese Führung in den letzten 15 Jahren so oft wechselte, wie man das gemeinhin mit seinen Hemden zu tun pflegt. Eine Folge ist Desinteresse. Nicht nur bei den Wählern, sondern in der SPD selbst. Wenn sich fast die Hälfte der Mitglieder nicht an der Abstimmung beteiligt hat, es ihr also völlig egal ist, wer da künftig die Geschicke im Willy-Brandt-Haus lenkt, dann spricht das Bände über den miserablen Zustand der Partei. Und diejenigen, die mitgemacht haben, sind in ihrem Votum praktisch gespalten. 53 zu 45 Prozent zugunsten der Groko-Kritiker, da kann man die Befürworter einer  Fortsetzung des schwarz-roten Regierungsbündnisses nicht einfach rechts liegen lassen.

Ein Kommentar von Stefan Vetter.

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Ob Esken und Walter-Borjans integrierend wirken können, ist jedoch sehr zweifelhaft. Die Groko-Ermüdeten in der Partei erwarten, dass die beiden jetzt „liefern“. Andererseits wird sich die Union aber nicht auf fundamentale Nachbesserungen des Koalitionsvertrages einlassen, denn auch sie steht unter Druck. Aus diesem Dilemma ist kaum ein Entrinnen. Hat die SPD aber keine triftigen Gründe, das Regierungsbündnis zu verlassen und tut es trotzdem, dann ist die Gefahr einer weiteren Marginalisierung groß. Mit ihrer Wahlentscheidung hat die SPD-Basis noch ein  Problem heraufbeschworen: Olaf Scholz ist für eine Kanzlerkandidatur parteipolitisch verbrannt. Und dass Walter-Borjans oder Saskia Esken gleich zum Zugpferd im Wahlkampf werden, ist schon angesichts ihrer bundespolitischen Unerfahrenheit eine abenteuerliche Vorstellung.

Die Mitglieder der SPD haben sich gegen ein „Weiter so“ gewandt. Aber wie weiter? Das steht in den Sternen. Die neuen Vorsitzenden wissen nur, dass die Gegenwart für die SPD schlecht ist. Sie haben aber keinen überzeugenden Plan für die Zukunft. Einstweilen noch nicht einmal für den SPD-Parteitag am kommenden Wochenende in Berlin.