Tickende Zeitbombe Kinderarmut

Jedes vierte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Doch im Wahlkampf ist Kinderarmut kein Thema.

Die Zahlen sind alarmierend, die Reaktionen leider immer noch Routine: Jedes vierte Kind in NRW wächst in Armut mitten in einer weiterhin reichen Gesellschaft auf - und die Politik unternimmt so gut wie nichts dagegen.

In Berlin streitet sich die Große Koalition über alles mögliche, zum Beispiel über Dienstwagen, über Mondmissionen oder Abwrackprämien. Doch die Zukunft der Kinder stellen CDU und SPD selbst dann nicht ins Zentrum ihrer Überlegungen, wenn sie Deutschlandpläne wie im Fall Steinmeier oder Industrie-Konzepte wie im Fall Guttenberg vorstellen.

Sozial- und Familienpolitik spielt so gut wie keine Rolle im Wahlkampf - ein Armutszeugnis für den verblassenden CDU-Star Ursula von der Leyen und die einstmalige SPD-Hoffnung Olaf Scholz.

Sehenden Auges wird in Kauf genommen, dass hunderttausende Kinder dauerhaft von einer gesellschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen bleiben, die mehr denn je Bildung und kulturelle Teilhabe verlangt.

Schon jetzt haben sich Strukturen herausgebildet, die sich bald zu einer lähmenden Belastung ausbilden könnten: Arm und Reich markieren nicht nur eine wirtschaftliche Trennlinie, sondern bedeuten immer häufiger eine Vorsortierung.

Wer aus einer armen Familie kommt, hat im Jahr 2009 deutlich schlechtere Chancen, das Abitur zu machen als seine Altersgenossen aus Mittelstandsfamilien. Vor allem aber: Er hat eine wesentlich kleinere Aufstiegschance, als er sie noch vor 20 oder 30 Jahren gehabt hätte.

Dieses Problem ist natürlich auch den Parteien bekannt. Sie scheuen aber davor zurück, das Thema offensiv anzugehen. Die SPD ist an diesem Punkt durch die von ihr erfundenen Hartz-Gesetze sozialpolitisch blockiert, die CDU hält weniger vom staatlichen Eingriff als von den Selbstheilungskräften der Familien. Doch der Glaube an Letzteres muss schwinden angesichts der immer größeren Fliehkräfte in der Gesellschaft.

Der Vorschlag der NRW-Sozialverbände, 502 Euro Grundsicherung im Monat einzuführen, mag nicht in allen Punkten zu Ende gedacht sein - wer kontrolliert zum Beispiel, dass die Eltern das Geld nicht zweckentfremden? Aber er lenkt den Blick der Politik wieder dahin, wo der Handlungsbedarf besonders groß ist: nach ganz unten, zu den Kleinen.