Meinung Wirtschaftsweise kritisieren Bundesregierung: Unbequeme Mahner
Die Begeisterung in der Bevölkerung für die große Koalition ist merklich abgeflaut. Zeitweilig lag die Zustimmung sogar schon unter 50 Prozent. Bei der letzten Bundestagswahl vor drei Jahren vermochten Union und SPD immerhin noch mehr als zwei Drittel der abgegebenen Stimmen auf sich zu vereinigen.
Ökonomisch betrachtet ist dieser Liebesentzug kaum begründbar. Schließlich kann Deutschland mit guten konjunkturellen Daten glänzen.
In der laufenden Wahlperiode wird das Wachstum im Schnitt um etwa 1,7 Prozent pro Jahr zugelegt haben. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Tiefstand und die Beschäftigung auf Rekordniveau. Von einer solchen Bilanz konnte manche Bundesregierung in der Vergangenheit nur träumen. Das sollte man nicht vergessen in Anbetracht der harschen Kritik, mit der die so genannten Wirtschaftsweisen in ihrem jüngsten Gutachten nun Schwarz-Rot überziehen.
Sicher werden Ökonomen die Welt immer anders betrachten, als es Politiker tun. Denn während die einen leicht der "reinen Lehre" anhängen können, müssen die anderen um Kompromisse ringen. Ein Paradebeispiel dafür ist der Mindestlohn, an dem die Wirtschaftsweisen schon in ihrer Expertise vom Vorjahr kein gutes Haar gelassen haben.
Wenn Lohndumping jedoch zum Geschäftsmodell wird, wie in der Vergangenheit geschehen, dann muss politisch etwas dagegen getan werden. Und die Findung künftiger Lohnuntergrenzen einer unabhängigen Kommission zu übertragen, ist dabei sicher eine vernünftige Lösung gewesen, um die Balance zwischen den Interessen der betroffenen Beschäftigten und den Gesetzen der Marktes zu wahren. Auch die wegen des Mindestlohns prophezeiten Jobverluste haben sich nicht bewahrheitet.
In einem zentralen Punkt haben die Wirtschaftsexperten allerdings recht: Wem es ökonomisch gut geht, der neigt politisch zu einer gewissen Sorglosigkeit. So ruht sich die amtierende Koalition tatsächlich auf den Erfolgen früherer Reformen wie der Agenda 2010 aus. Sie verwaltet mehr, als dass sie gestaltet. Wäre es anders, hätte sie längst eine Steuerreform in Angriff nehmen müssen, bei der Vermögen stärker zu belasten sind und Arbeitseinkommen weniger. Auch bei Investitionen in den Bildungsbereich ist noch Luft nach oben.
Und bei der künftigen Altersversorgung gibt es ebenfalls noch eine Menge zu tun. Anstatt weiter teure Rentenverbesserungen nach dem Gießkannenprinzip zu beschließen, müssen endlich die Problemgruppen gezielt berücksichtigt werden. Also Niedrigverdiener, Erwerbsgeminderte und Solo-Selbstständige. Die Forderung der Wirtschaftsweisen nach einer weiteren Aufstockung des Renteneintrittsalters hilft hier übrigens nicht weiter. Für die Bundesregierung sind die Top-Ökonomen gleichwohl ein unbequemer Mahner. Das macht sie gerade in Zeiten guter Konjunktur besonders wertvoll.