Ein ganzes Leben in Kartons

Das Riemscheid-Haus wird abgerissen. Edith Scheel lebte dort 42 Jahre und sagt: „Hier war meine Heimat.“

Burscheid. Edith Scheel packt. Die alte Standuhr, die sie 1961 aus der DDR mit nach Burscheid brachte, ein Gemälde, das ihr die Schwester schenkte, die gerahmten Aufnahmen vom verstorbenen Ehemann, Dieter Scheel und von den drei Kindern. "Was soll ich sagen", sagt sie. "Wir waren hier all die Jahre glücklich."

42 Jahre hat Edith Scheel im Riemscheid-Haus verbracht, ein Haus voller Erinnerungen - viel wird sie zurücklassen müssen, wenn sie ihre neue Wohnung bezieht. Dass das Haus, in dem sie so lange gelebt hat, abgerissen wird, kann sie kaum begreifen: "Wenn ich könnte, würde ich sofort wieder auspacken."

Dabei habe sie anfangs gar nicht einziehen wollen. "Als wir uns die Wohnung 1968 angeschaut haben, habe ich geheult", erzählt sie und lacht. "Wir hatten ja noch nicht einmal eine Toilette im Haus. Die war draußen." Schließlich käme sie aus der Großstadt, aus Leipzig. "Ich kannte das doch gar nicht." Doch die damals 30-Jährige lebt sich schnell ein und gewinnt das Haus lieb. Edith Scheel und ihr Mann verlegen Stromleitungen und richten sich in einem der Räume ein Badezimmer ein.

Anfangs teilen sich drei Mieter das Haus, später lebt die Familie Scheel alleine dort. Die Scheels sind offene Menschen und nutzen den neu gewonnen Platz, feiern Feste, laden Freunde und Verwandte aus der DDR zu sich ein. "Allen hat es hier gefallen. Hier war es von oben bis unten gemütlich und es war immer etwas los", sagt Scheel. Jetzt stehen ihr die Tränen in den Augen.

Edith Scheel, 72 Jahre

Rund 13 Familien lebten damals in den Wohnungen rund ums Haus. Man traf sich, half sich aus, grillte gemeinsam im Innenhof. Im Schuppen hatten sich die Jugendlichen ein Disco eingerichtet. Tochter Simone durfte damals nur durchs Schlüsselloch gucken. "Oder beim Aufräumen helfen", sagt sie und grinst. Aber auch sie erinnert sich. An die Gardinen, mit denen ihre Geschwister und die Nachbarskinder den Raum unterteilten, "um heimlich zu knutschen", vermutet sie.

Und wie schnell sich rumsprach, dass man dort, an der Hauptstraße, was erleben könne. "Die Jugendlichen kamen von überall her." Irgendwann mussten die Erwachsenen den Schuppen dicht machen. Es sei zu laut geworden. "Schade", findet Mutter Edith das noch heute. "Wir wussten, wo die Kinder sind. Und sie mussten sich nicht auf der Straße treffen", sagt sie und springt auf.

"Irgendwo habe ich doch noch ..." Die 72-Jährige zieht ein Bild aus einem Stapel Fotos: Die Disco, Sohn Wolfgang, die Füße auf dem Tisch, ein Glas Cola in der Hand. Und noch ein Foto: Schneider Ernst Laumann bei der Arbeit. Bei ihm wuchs Dieter Scheel auf, an der Luisenstraße2, ganz in der Nähe: "Darum sind wir überhaupt eingezogen." Scheel ringt nach Worten: "Heimat, ja, das Haus war unsere Heimat."

Als die Bücherei schloss, übernahm sie einen Stapel Romane, die sonst auf den Müll gewandert wären. Die Bücher haben bunte Einbände und tragen Stempel aus dem Jahr 1961. Scheel hat sie in eine Mülltüte gepackt. In ihre neue Wohnung mitnehmen kann sie sie nicht.

"Ich nehme das mit, was ich mir mit meinem Mann erarbeitet habe." Den alten Schrank zum Beispiel, den sie bereits in die neue Wohnung geschafft hat und von dem sie selbst vom "großen, wuchtigen Ding" spricht oder den Esstisch, den die Familie 1972 in einem Geschäft in Wermelskirchen entdeckt hatte. Den Kohleofen, mit dem sie die Küche beheizt, wird sie verschenken. "Dabei kenne ich es doch gar nicht anders. Ich mache mir gar nichts aus einer richtigen Heizung."

Die 72-Jährige hebt einen Karton auf den Tisch und legt vorsichtig eine Vase hinein. Edith Scheel packt. Sie packt ein ganzes Leben ein.