Putschversuch „Jetzt ist die Politik in der Sackgasse“
Geschockt reagieren die Türken in Burscheid auf den gescheiterten Putschversuch und die dramatischen Folgen.
Burscheid. Schock, Angst um Angehörige, Sorgen vor der Zukunft — der gescheiterte Putsch vom Wochenende hat die Türken in Burscheid aufgewühlt. Viele von ihnen halten sich gerade selbst in ihrer alten Heimat auf. „Die Hälfte unserer Gemeinde ist derzeit zum Urlaub in der Türkei“, sagt Imam Abdunasier Aydin.
Er hat die dramatischen Ereignisse von Burscheid aus verfolgt. Gemeinsam habe man im Kulturzentrum in Massiefen am Samstag und Sonntag die Nachrichten bewertet. „Wir akzeptieren das nicht“, gab er die nach seinen Angaben einhellige Meinung der Gemeinde zum Versuch der Militärs wieder, die Macht im Land zu übernehmen. „Wir sind sehr traurig und haben für alle Getöteten gebetet.“
Aydin hat selbst einen Verwandten in Ankara, der durch Bombensplitter so schwer am Fuß verletzt wurde, dass die Amputation droht. Jetzt sei man glücklich, dass die Kämpfe beendet und der Putsch niedergeschlagen worden sei. „Wer schuldig ist, soll verhaftet und bestraft werden. Aber das müssen die Gerichte entscheiden. Wir wollen Recht, nicht Rache.“
„Total resigniert“ nimmt Taner Efeoglu, früherer Vorsitzender des Integrationsrats, die Entwicklung in seinem Heimatland zur Kenntnis. Nach den ersten Videos auf Facebook hatte er noch am späten Freitagabend direkt versucht, seine Eltern, Verwandte und Freunde im Land zu erreichen. „Aber die Leitungen waren sehr schlecht, weil alle telefoniert haben.“
Als seine Mutter morgens um 2 Uhr dann anrief, zeigte sich, dass die Informationslage in der Türkei selbst offenbar viel schlechter war als außerhalb. „Aber dann sind alle auf die Straße gegangen, weil sie Chaos und Bürgerkrieg verhindern wollten.“
Efeoglu hat inzwischen große Zweifel an der Putschversion. „Ich kann einfach nicht glauben, dass ein putscherprobtes Militär sich so dilettantisch anstellt.“ Umso dramatischer seien die Folgen. „Erdogan stellt sich jetzt als der große Retter dar. Ich bin fassungslos, wie er den ganzen Staatsapparat in der Hand hat.“
Jetzt werde der Staatspräsident seinen Alleinherrschaftsanspruch durchsetzen. „Demokratie ist in der Türkei nur noch ein Science-Fiction-Wort.“ Vieles von dem, was Erdogan in den ersten Jahren gemacht habe, sei gut gewesen. „Aber jetzt ist die Politik in der Sackgasse. Das macht Angst.“
Ein Verwandter Efeoglus ist in der Türkei ein höherrangiger Militär — und habe in ersten Telefonaten verstört davon berichtet, wie gezielt nun selbst Leute abgeholt würden, die er als hundertprozentig verlässig einschätze. „Er weiß nicht, ob er nicht selbst auf irgendeiner Liste steht.“
Efeoglu sieht die Türkei nach dem vergangenen Wochenende „am Rande des Ruins. Und er sagt: „Ich ärgere mich über mein eigenes Volk, dass so viele das mittragen.“
Ibrahim Dindar, Vorsitzender des Türkisch-Islamischen Kulturvereins, ist derzeit selbst in der Türkei. Aber in Antalya, wo er sich aufhält, sei während des Putschversuchs alles ruhig geblieben. Den Putsch bezeichnet er als falschen Weg. „Das muss alles demokratisch geregelt werden.“
Auch sein Vorstandskollege Murat Türksoy hält sich seit Donnerstagmorgen in der Türkei auf. „Wir sind alle schockiert und froh, dass es vorbei ist. Die Kinder hatten Angst, dass sie nicht mehr nach Deutschland zurückkommen“, erzählt er am Telefon.
Auch Türksoy ist verwundert über den Putschversuch. „Das war nichts Halbes und nichts Ganzes. Man kann nicht einfach nur ein paar Panzer auf dei Brücke stellen.“ Nun sieht er mit Sorge, wie der Staat auf den gescheiterten Putschversuch reagiert — mit Massenverhaftungen und der Absetzung von Tausenden Richtern. Das Bemühen, dem Land Frieden zu bringen, sei jedenfalls vorerst gescheitert.