Buchtipp Vom engen Leben im eigenen Korsett
Köln · Trude Herr war vieles - eine Kommunistentochter, die in einem Kölner Arbeiterviertel ins Leben startete; eine Bardame in einer Schwulenbar; eine berühmte Ulknudel, die ihre Fans mit ihren Schlagern und Unterhaltungsfilmen begeisterte; eine Kölsche, die von ihrer Stadt im positiven wie im negativen Sinne als Ikone stilisiert wurde; eine neugierige Entdeckerin, die in die ferne Wüste reiste, und eine Theaterchefin, die ein echtes Volkstheater für sich und für alle Menschen endlich realisieren wollte.
1927 wurde Trude Herr in Kalk geboren. Später unternahm sie unter anderem als purzelndes Heinzelmännchen im berühmten Millowitsch-Theater ihre ersten Schritte auf der Bühne, um kurz darauf mit ihrem schwulen Freund Gustl krachend mit dem ersten eigenen Theater zu scheitern. Um Geld zu verdienen, arbeitet Herr zunächst als Bardame in einer Schwulenbar, um kurze Zeit später als Büttenrednerin den noch vom alten Nazi-Filz überwucherten, altehrwürdigen Kölner Sitzungskarneval gehörig aufzumischen.
Als Büttenrednerin mischte
sie den Kölner Karneval auf
Auch wenn es ihr mit ihrer Schwester gelingt, mit einer leicht subversiven Aktion im Rosenmontagszug für Aufmerksamkeit zu sorgen oder auch mit den Normen in der Bütt zu brechen, schafft sie in dieser Zeit schon ein enges Korsett, dass sie ihr gesamtes Leben begleiten und belasten wird - die Rolle des „dicken Dummerchens“, der „trampeligen Ulknudel“. Als sie versucht, als Karnevalspräsidenten-Gattin dem Karneval ernsthaft den Spiegel vorzuhalten, erhält sie Auftrittsverbot.
So beschreitet sie unbeirrt ihren Weg als ulkige „Knuddelkugel“ über den Kölner Kaiserhof sowie das Berliner Tingel-Tangel weiter und erobert die Film- und Schlagerwelt für sich. Sie dreht einfach gestrickte Unterhaltungsstreifen und arbeitet mit den Größen ihrer Zeit wie mit Heinz Ehrhardt zusammen. Auch ihre Schlager wie „Ich will keine Schokolade“ oder der „Spiegel-Twist“ werden zu Hits. Die Herr ist eine, wenn auch umstrittene Berühmtheit und verdient plötzlich das große Geld.
Glücklich wird die Kölnerin damit nicht, einerseits entspricht die Einschätzung der Kritiker als „dumme und vulgäre Ulknudel“ nicht dem, was sie sich als Künstlerin erhofft hat, anderseits verschlechtert sich ihre Gesundheit zunehmend, sodass sie nur noch mit Unmengen von Tabletten arbeiten und leben kann. Ihren ungestillten Hunger nach Anerkennung und mehr Gewicht als Künstlerin stillt sie zunehmend mit reichlich Essen und Zigaretten.
Erst eine Reise nach Nordafrika eröffnet Trude Herr wieder neue Horizonte. Jetzt will sie als Filmemacherin die Sahara in Szene setzen. In der Wüste lernt sie auch ihren Mann vom Volk der Tuareg kennen. Doch der Film floppt genauso wie der Gatte und stürzt die Künstlerin in eine Tiefe Sinnkrise.
Erst der Gedanke, endlich das eigene Volkstheater in Köln zu eröffnen, bringt die Wende. Im heutigen Odeon-Kino in der Südstadt eröffnet sie ihr eigenes Haus und feiert als Theaterchefin, die ihre eigenen Stücke auf die Bühne bringt und auch selbst die Hauptrolle übernimmt, große Erfolge. Die Vorstellungen sind ausverkauft und die Prominenz gibt sich bei den Premieren die Klinke in die Hand. Wirklich glücklich wird Trude Herr auch im eigenen Theater nicht. Dieses wirft nicht den erhofften Gewinn ab, Querelen hinter den Kulissen sind an der Tagesordnung und die eigene Gesundheit verschlechtert sich weitere rapide. Auch ihr Hunger nach Anerkennung als ernsthafte Künstlerin wird nie gestillt.
Mit dem Song „Niemals geht man so ganz“ verabschiedet sich Trude Herr, unterstützt von Wolfgang Niedecken und Tommy Engel, auf die Fidschi-Inseln, kehrt dann wieder kurzzeitig nach Köln zurück und stirbt schließlich 1991 einsam in Südfrankreich. Auf dem Kölner Nordfriedhof findet sie ihre letzte Ruhe. An Trude Herr erinnert heute unter anderem in der Südstadt am Bürgerhaus Stollwerck der nach ihr benannte Park inklusive eines Denkmals. Dazu kommt eine Erinnerungsplakette an ihrem Theater, dem heutigen Odeon-Kino. Auch eine Puppe im Hänneschen-Theater lässt die Kölnerin ins Rampenlicht zurückkehren.
Ein ganz anderes Denkmal hat jetzt der so berühmten wie auch tragischen Kölnerin die Kabarettistin, Autorin und Chefin des „Klüngelpütz“, Marina Barth, gesetzt, die sich intensiv mir deren Nachlass auseinandergesetzt hat. In ihrem Buch „Am Kronleuchter hängen wir nicht immer“ versetzt sie sich in die Rolle von Trude Herr und zeigt in der Ich-Form, wie die Künstlerin ihre Welt sah. Wer das Buch liest, weiß, warum Herr so geworden ist, wie sie war. Warum sie ihren Hunger nach Liebe und Anerkennung nie auch nur annähernd stillen konnte und wie ihr das selbst geschaffene Korsett zunehmend die Luft zum Atmen nahm.
Es ist ein bewegender, biografisch-historischer Roman, der gleichermaßen zum Lachen als auch zum Weinen anregt und der den Leser nachdenklich zurücklässt. Gleichzeitig bindet er das Leben von Trude Herr auch in das Weltgeschehen und in die Entwicklung Kölns in der Nachkriegszeit ein. Es geht um Nazis in der Kölner Gesellschaft genauso wie um den RAF-Terror, der bei der Schleyer-Entführung auch die Domstadt traf.
So entsteht eine Hommage an Trude Herr, die aber darauf verzichtet, die Künstlerin auf einen Sockel zu heben. Vielmehr bietet Barth Einblicke in den Menschen, der hinter der Fassade der lustigen Ulknudel und der oft schwierigen Theaterchefin steckte, und dessen Schicksal bis noch heute zutiefst berührt.
Marina Barth: Am Kronleuchter hängen wir nicht immer. Wie Trude Herr die Welt sah, Emons-Verlag, 272 Seiten, 16 Euro