Kultur Die Faszination des Bergkristalls

Köln · Der Bergkristall hat die Menschen seit jeher fasziniert und ihre Fantasien beflügelt. Der strahlende, durchsichtige Stein findet sich in der Kunst und Poesie genauso wie im Brauchtum und im Kirchenjahr, in der Medizin und Magie, in den Geistes- und Naturwissenschaften.

Der Tafelaufsatz „Vater Rhein“ gehört zum Kölner Ratssilber. Geschaffen wurde das Kristallschiff von Gabriel Hermeling. Der Tafelaufsatz befindet sich im Bestand des Kölnischen Stadtmuseums.

Foto: Köln/Rheinisches Bildarchiv

Der Bergkristall ist ein Quarz, der aus dem Magma der Erde entstand und in Jahrmillionen verborgene Höhlen in wunderbare Kathedralen verwandelte. Kostbare Gegenstände zum profanen und zum sakralen Gebrauch wurden aus ihm gefertigt. Kunstvolle Kreuze und Gefäße für heilige Reliquien spiegeln eindrucksvoll die mittelalterliche Frömmigkeit, herausragende Werke der Renaissance schmückten einst fürstliche Residenzen.

Der frühere Schnütgen-Direktor blickt auf seinen Leben zurück

Der facettenreiche Stein hat das Leben des langjährigen Direktors des Kölner Museums Schnütgen, Anton Legner geprägt. Aufgewachsen in Böhmen kam der Kunsthistoriker unter Kulturdezernent Kurt Hackenberg an den Rhein und übernahm die Leitung des Hauses in der romanischen Kirche St. Cäcilien, das herausragende Werke mittelalterlicher Kunst besitzt, die aus Bergkristall gefertigt sind. Unter dem Titel „Faszination Bergkristall“ stellt er in einem Bilder- und Lesebuch seine persönlichen Streifzüge durch die Kultur- und Kunstgeschichte vor, bei denen Legner Meisterwerke aus ganz Europa für sich entdeckt hat. Er setzt sich intensiv mit der Reliquienkultur auseinander und schlägt Brücken zwischen Böhmen und dem Rheinland. Sein Buch ist auch ein Führer durch die Kölner Schätze, die aus Bergkristall gefertigt worden sind. In den Kristallisationen seines Lebens blickt Legner auf seine Stationen in Prag, Freiburg und Köln zurück.

Schon die alten Griechen waren von diesem Stein begeistert, den sie „krystallos“ nannten und der sie wegen seiner Klarheit und Reinheit faszinierte. Wegen seiner Transparenz wurde er über viele Jahrhunderte mit Eis in Verbindung gebracht. In Griechenland schnitt man Siegelsteine daraus und verarbeitete den Bergkristall zu Bechern und Weinkrügen. In Ägypten wurden ab Ende des 9. Jahrhunderts geschliffene Gefäße aus Bergkristall hergestellt und mit Ranken, Tieren und Inschriften verziert.

Manches davon gelangte auch nach Europa und kam in die Schatzkammern der Kirchen und Klöster. Zum Schmuck der Altäre fertigten dort im Mittelalter Kristallschleifer Kreuze und Leuchter, schufen Knäufe und Kugeln für die Schreine und kunstreiche Gefäße zur Aufnahme von heiligen Reliquien. Bergkristall wurde damals mehr geschätzt als Gold und Edelsteine. Auch Splitter des Heiligen Kreuzes wurden in das durchsichtige Kleid des Bergkristalls gehüllt, zum sichtbaren Zeugnis und zur Verehrung des Zeichens der Erlösung. Dabei wirkte das Kristall oft wie eine Vergrößerungslinse. Auch ganze Kreuze wurden aus dem edlen Werkstoff gefertigt. So wird von Albertus Magnus berichtet, er habe Heiligenreliquien im Chor der Kölner Dominikanerkirche in Form eines Kreuzes aufgestellt. Dazu kamen Marienfiguren, die in Beziehung zum Bergkristall gestellt wurden, wie die Mutter Gottes mit dem Bergkristall, die sich im Museum Schnütgen befindet.

Die Tradition, Reliquien in Bergkristall zu verwahren, beschränkt sich nicht nur auf das Christentum. Ein nepalesisches Reliquiar umschließt eine Reliquie Buddhas und wird von einer Kuppel aus Bergkristall gekrönt. Auch hier soll der transparente Stein das Heilige sichtbar machen. In der Malerei spielte der Bergkristall ebenfalls eine wichtige Rolle, wie Stefan Lochners „Altar der Stadtpatrone“ im Kölner Dom eindrucksvoll zeigt. Bedeutung hatte der Stein auch in der Medizin und in der Magie. Hildegard von Bingen wusste, wie man verschiedene Krankheiten mit Edelsteinen heilen kann, und in der Wahrsagung spielt die Kristallkugel eine zentrale Rolle.

Bedeutende Zentren der Verarbeitung von Bergkristall waren Paris und Venedig. Aus dem Spätmittelalter sind Werkstätten im Breisgau und in Burgund bekannt. Auch in Köln gab es eine Bergkristallwerkstatt, die beim U-Bahn-Bau gefunden wurde. Im mittelalterlichen Köln kam dem Bergkristall eine wichtige Rolle zu, und die Fülle der vorhandenen Werkstücke ließ seit Langem vermuten, dass in der Stadt am Rhein um 1200 spezialisierte Kristallschleifer am Werk waren. Sie übten sich in der Herstellung von Kristallzylindern und in verschiedenen Schliffarten, wie das Reliquiar von St. Kolumba und ähnliche Arbeiten zeigen.

Gefunden wurde die Werkstatt 2005, als Archäologen im Zuge der Bauarbeiten für die Nord-Süd-Bahn in unmittelbarer Nähe zum Dom auf eine Stätte der Kristallverarbeitung aus dem 12. Jahrhundert stießen. Die Ausstellung „Rhein und Maas“ des Museums Schnütgen beschäftigte mit dem Thema und zeigte, dass Köln im Mittelalter ein Zentrum der Verarbeitung von Bergkristall war, das bereits früher bestand als die Pendants in Paris und Venedig. Hergestellt wurden in der „Domwerkstatt“ vor allem kleinere Waren, wie die Kristallknäufe, die den Heribertschrein zieren.

Bei Anton Legners Reise durch die Kölner Museen und Kirchen begegnen die Leser Kunstwerken wie dem Vorsängerstab in der Domschatzkammer, das Reliquiar in Kreuzform in St. Gereon, der Schrein des hl. Maurinus in Sankt Pantaleon oder das Reliquienkreuz aus dem 11. Jahrhundert in St. Severin. Die größte Schatzkammer für Kunstwerke aus Bergkristall ist das Museum Schnütgen. Dort befindet sich zum Beispiel ein Armreliquiar mit einem kunstvoll gefassten Bergkristall, ein Reliquiengefäß auf Löwentatzen, das schon eine Sonderbriefmarke zierte, oder auch ein großes Bergkristallkreuz – einer der bedeutendsten Kunstschätze des Hauses. Zu den profanen Kölner Schätzen gehört das Bergkristallschiff von „Vater Rhein“ im Kölner Ratssilber.

 

Anton Legner: Fazination Bergkristall, Greven-Verlag, 280 Seiten, 34 Euro