Buchtipp Verbrechen in Zeiten des Umbruchs

Köln · Die Zeit zwischen dem Ende der NS-Diktatur und dem Aufbau der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg war auch in Köln eine Zeit der Ungewissheit und des Verdrängens. Denn nicht nur die einst mächtige Domstadt lag in Trümmern, sondern auch die staatliche Ordnung inklusive ihres Rechtssystems.

Der Direktor des NS-Dok Henning Borggräfe (l.) und der Autor Helmut Frankenberg.

Foto: step/Eppinger

Die Justiz musste erst einen neuen Weg finden, um Verbrechen, die kurz vor dem Ende der Nazizeit oder in der Zeit direkt danach passiert sind, zu verfolgen. „Es gab nach dem Krieg keine ‚Stunde Null‘, auch nicht bei der Polizei und der Justiz. Obwohl es keinen deutschen Staat gab, arbeiteten diese Institutionen, als gäbe es ihn weiterhin. Faktisch galten weiterhin das Bürgerliche Gesetzbuch und das Strafgesetzbuch, ergänzt um einige Spezialitäten, die die britischen Besatzer mitbrachten“, erklärt der Kölner Autor und Journalist Helmut Frangenberg.

14 wahre Kriminalfälle aus
der Zeit zwischen 1944 und 1949

In seinem gerade beim Greven-Verlag erschienenen Buch „Köln in Trümmern. True Crime 1944 bis 1949“ hat er 14 wahre Kriminalfälle recherchiert und zusammengestellt. Dabei hat er diese immer in den gesellschaftlichen und politischen Kontext der Zeit gesetzt und den Fokus auf die Schicksale der Menschen gelegt, die sich in diesen unsicheren Zeiten zurechtfinden mussten.

„Ich glaube, dass die meisten Menschen nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur nicht mehr wussten, was galt und was nicht. Was war jetzt gut, was böse? Irgendwie hatte sich fast jeder während der NS-Zeit schuldig gemacht und sei es auch nur, indem er wegschaute“, erläutert der Autor.

„Die Recherchen waren schwierig. Gerichtsprotokolle gab es kaum noch“, berichtet Frangenberg bei der Buchpräsentation im NS-Dokumentationszentrum mit dessen Direktor Henning Borggräfe. Profitiert hat der Autor bei seinen Recherchen von einer Arbeit des früheren Kölner Kripochefs Walter Vollmer, der dieses Amt bis 2001 innehatte.

Der erfahrene Ermittler hatte darin die Leichenkarteien aus dem Zeitraum zwischen 1944 und 1949 ausgewertet. „Diese umfassten geklärte und ungeklärte Mordfälle und damit das gesamte Grauen von Mord und Totschlag in den letzten Monaten der Diktatur und in der Nachkriegszeit in Köln“, sagt Frangenberg. Einsehen konnte er diese im Landesarchiv Duisburg.

Weitere Informationen erhielt der Autor bei einigen spektakulären Fällen durch die Tagespresse, welche auch die juristische Aufarbeitung der Fälle im Blick hatte. „Vieles ist aber nicht mehr auffindbar - im Bombenhagel verbrannt, nach dem Krieg verschwunden oder anderweitig zerstört.“

Zu den Problemen gehört hier auch die Verdrängung der Vergangenheit durch die Menschen in der Nachkriegszeit, die noch Jahrzehnte später angedauert hat. Im Buch erzählt Frangenberg zum Beispiel von der Juristin Elsbeth von Ameln, die jüdische Wurzeln hatte. Während der Nazizeit durfte sie ihren Beruf als Anwältin nicht ausüben. Ab 1944 musste sie sich vor den NS-Schergen verstecken, um der Deportation zu entgehen. Als sie nach dem Krieg als Anwältin wieder tätig werden konnte, musste sie mit Richtern und anderen Juristen zusammenarbeiten, die schon in der NS-Zeit aktiv waren.

Manche der Taten wurden noch in Zeiten der Nazi-Diktatur begangen, wurden aber erst nach dem Krieg strafrechtlich verfolgt. Das gilt zum Beispiel für einen Kölner Mitarbeiter der Kripo, der 1944 selbst zum Mörder wurde, als er seine Komplizen erschoss und dies dann als Heldentat verkaufte. Er gehörte zu einer Diebesbande, die Koffer raubten, welche andere Menschen im Hausflur deponiert hatten, um bei einem Bombenangriff alles schnell für den Weg zum Luftschutzkeller zur Hand zu haben. Ein Prozessbericht zum Fall ist nicht auffindbar. Man weiß nur, dass der Täter 1947 unters Fallbeil kam.

Die Fälle im neuen True-Crime-Buch sind spektakulär, teils brutal, teils emotional und zeichnen ein düsteres Bild von Verbrechen, Intrigen und Verzweiflung in der Nachkriegszeit im Schatten des Doms. Dazu kommen auch amüsante Anekdoten: etwa die Geschichte eines Tresorknackers, der seine Taten hauptsächlich aus sexueller Lust beging, oder die des Hausmeisters des Kölner Kunstvereins, der sich als talentierter Fälscher moderner Kunst entpuppte und gemeinsam mit einem Komplizen ein Vermögen mit gefälschten und gestohlenen Werken machte.

Spektakulär ist ein Gatten-Mord, bei dem eine Metzgersfrau und ihr polnischer Liebhaber sich des lästigen Ehemanns durch einen Mord entledigten und ihn in einer Jauchegrube direkt hinter dem Haus entsorgten. Dank einer britischen Kronzeugenregelung, bei der die Gattin ihren Geliebten verraten hatte, wäre diese fast straffrei davon gekommen und hätte ihr Erbe genießen können. Doch 1954 musste die Mittäterin erneut vor Gericht und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch geflohene Geliebte wurde schließlich gefasst und verurteilt.

Erschütternd ist die Geschichte !Tödlicher Gefallen“ über eine Tochter, die ihrer Mutter beim Selbstmord assistiert hatte. Die konvertierte Jüdin nahm sich das Leben, damit ihre Familie in dem Haus bleiben konnte, das diese nach einer Denunziation verlassen sollte. Sehr persönlich ist das letzte Kapitel des Buches, in dem sich der Autor mit seiner Mutter und seinen beiden Söhnen auf Spurensuche am Westwall begibt, wo sein Onkel im Krieg umkam und wo dessen Grab lange unentdeckt blieb.

Helmut Frangenberg: Köln in Trümmern - True Crime 1944 bis 1949, Greven-Verlag, 248 Seiten, 18 Euro