Kai Wingenfelder: Das sind für Musiker schwierige Zeiten. Unsere Branche ist eine, die hängengelassen wird. Das fühlt sich nicht gut an. Gerade Kollegen, die jetzt ihre Karriere aufbauen wollen, werden heftig zurückgeworfen. Corona ist für die Entertainment- und Kunstszene ein tiefer Schlag. Das werden nicht alle schaffen. Mit Platten kann man kein Geld mehr verdienen und so konzentriert man sich darauf, live zu spielen, was im Moment nicht möglich ist und was wohl auch für längere Zeit nicht möglich sein wird.
Interview „Wir ticken musikalisch gleich“
Wie ist es jetzt in Zeiten von Corona als Musiker zu arbeiten?
Wie war das bei Wingenfelder?
Wingenfelder: Wir mussten alles verschieben. Das gilt auch für das neue Jubiläumsalbum, das jetzt im September erscheinen wird. Mir war zum ursprünglichen Termin schnell klar, dass das nicht möglich sein wird. Auch weil es nur Sinn macht, wenn man dafür nicht die Promo machen kann. Und ich wohne hier in Schleswig-Holstein mitten auf dem Land, wo es keine Corona-Fälle gab und wollte auf keinen Fall in Großstädte reisen, um dort die Radiostationen zu besuchen. Auch die Tour im Mai war durch den Lockdown nicht möglich. Zunächst hatten wir die Konzerte in den Herbst bzw. Winter verschoben. Aber es war schnell klar, dass das nichts werden wird und so sind wir jetzt im Februar unterwegs. Auch hier sind wir nicht sicher und blicken zur Not schon in Richtung Herbst 2021. Problematisch ist zudem die ausverkaufte Schiffstour von Fury in the Slaughterhouse mit viele Kollegen als Gästen. Hier gab es vom Veranstalter bislang noch keine Absage, obwohl die Chancen für das Projekt schlecht stehen und ein Verschieben wohl nicht möglich sein wird.
Zehn Jahre Wingenfelder. Wie fällt die Bilanz aus?
Wingenfelder: Dafür, dass wir vor zehn Jahren noch gar nicht wirklich wussten, was wir da tun, sind wir mit der Band sehr glücklich. Wir hingen nach dem Ende von Fury in der Luft und die Musik hat uns irgendwann gefehlt. So haben wir uns in der Formation getroffen und jetzt gibt es schon das fünfte Album. Mit dem letzten haben wir die Top 10 erreicht. Das ist eine Zweitkarriere, die allen sehr viel Spaß macht. Für uns war das mit deutschen Songs Neuland und wir hätten nie gedacht, dass wir dahin kommen, wo wir heute sind.
Auch Fury in the Slaughterhouse ist wieder da?
Wingenfelder: Wir hatten uns 2008 getrennt, weil es im Studio einfach nicht mehr ging. Wir sind da musikalisch auseinandergedriftet. Aber es gab Leute, die uns wieder live sehen wollten und so sind wir auf die Bühne zurückgekehrt. 2017 gab es Konzerte zum 30-jährigem Bestehen der Band, die waren ein großer Erfolg und weitere Konzerte folgten. Es war schön zu sehen, dass wir den Fans gefehlt haben. Als Kapelle und als Freunde haben wir uns wieder gefunden und haben gemeinsam Spaß. Für dieses Jahr waren neben der Schiffstour zehn große Konzerte geplant, die wir jetzt ins kommende Jahr verschoben haben.
Was hat sich bei Wingenfelder in den zehn Jahren musikalisch verändert?
Wingenfelder: Bei der musikalischen Auffassung hat sich nichts geändert. Das neue Album ist als Popalbum etwas speziell, aber auch ganz OK. Die Thematik ist etwas anders. Die neuen Songs sind in einer Zeit entstanden, in der die Populistenclique in der Welt an die Macht kam. Das haben wir thematisiert und so ist das aktuelle auch ein politisches Album geworden. Es gibt aber auch positive, leichte Songs, die Hoffnung machen. Insgesamt finden sich auf dem Doppelalbum zehn Studio- und zehn Livesongs.
Wie kam es zum ungewöhnlichen Titel „Sendeschluss Testbild“?
Wingenfelder: Das ist der Titel des Anfangstracks, der politisch ist und der einen sehr eindringlichen Text hat. Das Testbild im Fernsehen kennt heute kaum noch ein Mensch. Wir kommen aber aus dieser Zeit, als um Mitternacht das Programm im Fernsehen zu Ende war, die Nationalhymne gespielt wurde und dann das Testbild kam. Heute gibt es die 24-Stunden-Berieslung und das allgegenwärtige Internet. Etwas weniger, wäre hier schon deutlich mehr. Ich würde mich auch freuen, wenn meine eigenen Kinder weniger online wären und dafür mehr mit ihren Freunden reden würden. Es ist wichtig, die Erinnerungen zu behalten und die Geschichte nicht zu vergessen. Denn wer sich nicht mit Geschichte beschäftigt, wird die Zukunft nicht verstehen. Das soll dieser Song auch vermitteln.
Wie ist es mit dem eigenen Bruder in der gleichen Band zu arbeiten?
Wingenfelder: Das funktioniert nicht immer, aber meisten doch sehr gut. Wir hängen seit 35 Jahren musikalisch zusammen und kennen uns entsprechend. Das ermöglicht auch ein schnelles, gemeinsames Arbeiten an den Songs, was ich sehr liebe. Wir ticken musikalisch gleich. Und funktioniert hat es eigentlich immer. Nur in der Zeit in Köln, als wir auch noch zusammen gewohnt haben, wurde es irgendwann schwierig.
Welche Beziehung haben Sie zu Köln und zum Gloria?
Wingenfelder: Wir haben beide Kölnerinnen geheiratet und haben in der Stadt gelebt. Ich war in Ehrenfeld und später sind wir in Richtung Niederrhein gezogen. Aber das Klima war nicht meines. Ich mag es nicht, wenn es im Sommer feucht und drückend wird. So bin ich zurück zum Meer, wo ich jetzt lebe. Auch wenn ich Karneval nicht mag, habe ich die Zeit in Köln sehr genossen. Das ist eine lebendige Stadt mit einer tollen Kunstszene und Freunden wie Wolfgang Niedecken. Das Gloria gehört zu den Clubs, in denen wir gerne spielen, weil es dort Wärme und Stil gibt. Das ist ein schöner, lauter Laden, in dem wir tolle Konzerte erlebt haben.