Babyfreundliche Klinik: Immer mehr Mütter wollen stillen
Seit einem Jahr unterstützt das Marien-Hospital Mütter beim Stillen. Seither ist die Quote schon gestiegen.
Düsseldorf. Hans-Peter Diemer, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe am Marien-Hospital, gibt mit einem Lachen zu : "Ich bin manchmal immer noch verwundert, wenn ich in ein Zimmer komme, und da liegt ein Mann mit Säugling im Bett."
Was Diemer manchmal noch überrascht, ist allerdings kein biologisches Wunder, sondern die Konsequenz eines Prozesses, der dem Marien-Hospital 2009 als erster Düsseldorfer Klinik das Zertifikat "Babyfreundliches Krankenhaus" einbrachte. Dazu gehört die Bereitstellung von Familienzimmern, so dass auch Väter die ersten Tage ihres Nachwuchses miterleben können.
Der Titel beruht auf einer Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Unicef. Eine wesentliche Voraussetzung, sich die Plakette an die Klinik-Tür hängen zu dürfen, ist die Unterstützung des Stillens. Deswegen arbeiten Gynäkologen, Hebammen und Stillberaterinnen im Marien-Hospital Hand in Hand. Am Donnerstag wurde nach einem Jahr "Babyfreundlichkeit" eine erste Bilanz gezogen.
Den Müttern werden die Kinder sofort nach der Geburt auf den Bauch gelegt. "Messen und Wiegen ist bei uns zweitrangig. Wir geben den Müttern bis zu einer Stunde Zeit, Kontakt zu ihrem Baby aufzunehmen und es anzulegen", sagt Kreißsaalleiterin Steffi Lutze-Wehnemann. Dass sei auch bei einem Kaiserschnitt so. "Und wenn die Mutter nicht in der Lage ist, legen wir das Kind dem Vater auf den nackten Oberkörper - der erste Körperkontakt ist wichtig für die Bindung."
Nach der Geburt beginnt die Arbeit von Stillberaterin Monika Scheuffler, die den jungen Müttern zur Seite steht. "Die Immunisierung durch die Muttermilch ist nachweislich der beste Schutz vor Infektionskrankheiten", sagt sie. Zudem verringere das Stillen das Risiko für Übergewicht und Diabetes. Werbung von Babynahrungsherstellern wurden aus dem Krankenhaus verbannt. Demnächst will Scheuffler eine Ambulanz für Frauen mit Still-Problemen einrichten.
Mit der Stillförderung liegt das Marien-Hospital voll im Trend. Immer mehr Mütter wollen ihre Kinder in den ersten Monaten natürlich ernähren. Viele Krankenhäuser stellen sich darauf ein. Auch das Florence-Nightingale-Krankenhaus in Kaiserswerth bemüht sich seit 2009 um das Zertifikat "babyfreundlich". Deutschlandweit sind 61 Kliniken von WHO und Unicef ausgezeichnet, 48 arbeiten an der Anerkennung.
Der Düsseldorfer Professor für Medizingeschichte Jörg Vögele führt mit seinen Studenten an der Heinrich-Heine-Universität derzeit eine Studie zum Stillverhalten durch. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde zunächst weniger gestillt, nur in Notzeiten in und nach den Kriegen gaben mehr Mütter den Kindern die Brust. In den 1960er und 1970er Jahren war Stillen verpönt. Derzeit erlebt es wieder einen Boom. Vögele sucht für seine Untersuchung noch Mütter, die per Fragebogen ihre Erfahrungen mitteilen möchten.