Kämpfer für die Gaslaternen „Düsseldorf gibt ein echtes Pfund aus der Hand““

Düsseldorf · Historiker Horst A. Wessel kämpft für Gaslaternen und mehr Achtung vor Denkmalwerten.

Historiker Horst A. Wessel unterwegs in der Düsseldorfer Altstadt, zwischen Gaslaternen und bereits auf LED umgerüsteten Leuchten, was er einigermaßen bedauert.

Foto: Anne Orthen (orth)

Ein kurzer Blick nach oben reicht. „Das ist ein Fake“, sagt Horst A. Wessel und zeigt auf die Gaslaterne, die keine mehr ist. LED-Birnen statt Glühstrümpfe sind verbaut. „Das ist ein ganz anderes Licht“, sagt Wessel. Selbst der Laie erkennt: Etwas heller strahlt an St. Lambertus die Stromleuchte neben der eher schummrigen Gaslaterne. „Das blendet nicht.“ Auf Fotos sei der Unterschied übrigens kaum auszumachen, erklärt der Historiker beim Gang durch die Altstadt.

Doch dem 80-Jährigen geht es nicht wirklich um Lichtunterschiede, die ja bei neuen Nachbauten nicht mehr auffallen sollen – so verspricht es zumindest die Stadt. Wessel sagt: „Kein Fake kann ein Original ersetzen.“ Damit ginge der Wert als Denkmal und die Chance auf die Anerkennung als Weltkulturerbe verloren. „Düsseldorf gibt ein echtes Pfund aus der Hand“, sagt Wessel.

Der Professor ist langjähriger Verfechter des Gaslichts in Düsseldorf, vor allem kennt er dessen Geschichte besser als jeder andere. 25 Jahre lang leitete er das Archiv von Mannesmann. Das Unternehmen produzierte die nahtlosen Röhren für das Leitungsnetz und die Gaslaternen. Zu diesen sah sich Wessel plötzlich in den 90er-Jahren mit Anfragen konfrontiert, die er nach Recherchen beantwortete. So entwickelte sich sein Expertentum. Und er gibt zu: „Ich habe nicht früh genug erkannt, welche Bedeutung die Gaslaternen für Düsseldorf haben.“

Denn die Röhrenindustrie kombiniert mit der ersten flächendeckend verteilten Energie – nämlich Gas noch vor Wasser – das gab nicht nur der Industrialisierung enormen Schub, da etwa Nachtschichten dank des Gaslichts möglich wurden. Vielmehr entwickelte sich Düsseldorf von der Provinz zur Großstadt – von 50 000 Einwohnern im Jahr 1860 auf mehr als 400 000 rund 50 Jahre später. Für Wessel steht fest: „Keine Stadt war in ihrer Entwicklung so abhängig vom Gas wie Düsseldorf.“ Die wirtschaftliche und kulturelle Kraft gehe auf die Röhrenindustrie zurück, die am Rhein ein weltweit wichtiges Zentrum bildete.

Wie das alles kam, kann Wessel bis in die Details erzählen. Als Aufklärer sieht er sich – zum Beispiel mit Blick auf seine vielen Vorträge zum Thema. Auch an den Dialogrunden mit der Stadt nahm Wessel teil, war an dem 2020 gefundenen Kompromiss beteiligt, wonach 10 000 Gaslaternen erhalten bleiben sollten. Nun war das alles vergeblich. Im Angesicht der Energiekrise und des Kriegs in der Ukraine dachte die Politik um, sodass die Gaslaternen viel radikaler ersetzt werden sollen, bis auf 220 Exemplare im Hofgarten. Als „völlig unverständlich“ beschreibt Wessel das. Von „Symbolpolitik“ spricht er, gar von „Ideologie“. Die Begründungen überzeugten nicht, zu gering sei der Gasverbrauch und der CO2-Ausstoß, zudem gebe es keinen Gasmangel. Noch viele Jahre werde es Gasheizungen geben, und solange die Preise nicht zu hoch seien, hätte man an den Laternen festhalten können.

Vor allem der Wert als Denkmal ist Wessel wichtig. Zumal Düsseldorf da nicht viel vorweisen könne. „Wir haben keinen Dom, gerade mal einen Schlossturm.“ Aber mit den Gaslaternen gebe es ein sogar funktionierendes Denkmal, das als Lichtanlage in dieser Dimension weltweit einmalig sei. Das wäre nicht nur eine Attraktion für Besucher, sondern ein sichtbares Zeichen für die Entwicklung der Stadt. Wessel zieht einen Vergleich zur Müngstener Brücke, die man auch erst abreißen wollte und die heute auf dem Weg zum Weltkulturerbe ist. Das sind die Gaslaternen nicht. Sich deshalb zu ereifern, ist übrigens nicht Wessels Art. Meist mit einem Lächeln bringt der 80-Jährige – stets mit ovaler Brille und Anzug tragend – seine Positionen vor. Sein Alter merkt man ihm beim schnellen Gang durch die Stadt nicht an.

Das Versprechen an seine Frau, im Ruhestand deutlich kürzer zu treten, hat er gebrochen, wie Wessel zugibt. Vormittags immerhin koche er oft, nachmittags aber sitze er spätestens am Schreibtisch. „Ich veröffentliche so viel wie nie. Es macht mir einfach Spaß.“ Um Gaslaternen geht es dabei nicht, sondern andere Themen, die Wessel als Experte für Unternehmensgeschichte umtreiben. Zehn Aufsätze und zwei Bücher sind da zuletzt zusammengekommen. Zudem betreut Wessel an der Heine-Uni einen Doktoranden: Der stellvertretende Leiter des Schifffahrtsmuseums Markus Todoric forscht über das in Düsseldorf entdeckte Plattbodenschiff.

Der Einsatz für Erinnerungskultur wird bei Wessel nicht nachlassen, auch ohne Gaslaternen. Neues Projekt: nach dem Ende von Vallourec in Rath ein Röhrenmuseum zu ermöglichen. Zwei Briefe an den Oberbürgermeister hat der alte Mannesmanner längst geschickt, vor Ort trifft er sich bald mit Vertretern der Landesdenkmalbehörde und dem Institut für Denkmalschutz. An einem Buch über mehr als 120 Jahre Röhrenwerke am Standort Rath arbeitet Wessel auch noch. Obwohl Wessel im sozialen Netzwerk Linkedin als „Rentner“ geführt wird – auf einen echten Ruhestand wird Wessels Ehefrau weiter warten müssen.