Immer mehr junge Menschen sind einsam
Einsamkeit ist keineswegs nur ein Thema im Alter. Bei der Jugendberatung wurden im vergangenen Jahr 500 Klienten betreut.
Düsseldorf. An diesem Nachmittag im Juni sitzen drei junge Menschen im Warteraum der Jugendberatung in Derendorf. Klara (17 Namen von der Resdaktion geändert) möchte ihr Fachabi am Berufskolleg machen, lebt mit zwei Geschwistern bei ihren Eltern; Bei Sven (19), haben sich die Eltern getrennt, als er gerade den Realschulabschluss machte, seine Noten gingen in den Keller, das erschwert seine Suche nach einem Ausbildungsplatz; Nerja (15) lebt als Flüchtling in einer Gemeinschaftsunterkunft und geht in die internationale Klasse einer Gesamtschule. Die drei haben ganz unterschiedliche, Ängste und Sorgen — und ein gemeinsames Problem: Sie fühlen sich einsam.
Einsamkeit, dieses Problem verbindet man vor allem mit alten Menschen. Man denkt an die Berichte über Senioren, die manchmal erst Wochen nach ihrem Tod in ihrer Wohnung gefunden werden — weil sie niemand vermisst hat. Aber natürlich leiden auch Jugendliche und junge Erwachsene darunter. „Einsamkeit ist ein stilles Thema“, sagt Anke Huismann von der Jugendberatung an der Ulmenstraße, „es offenbart sich oft ganz nebenbei.“ Die Jugendberaterin bietet jungen Menschen mit ihren sechs Teamkollegen psychosoziale Beratung und Therapie.
Etwa 500 Klienten betreute die Jugendberatung 2016, im Jahr davon waren es erst 400. Gut die Hälfte der jungen Leute im Alter zwischen 13 und 27 Jahren kommt von sich aus, genauer gesagt: nimmt Kontakt auf — persönlich, telefonisch oder (immer öfter) per Mail oder Chat. „Für die anderen gibt es ,Überweiser’ “, sagt Friedel Beckmann, der Leiter der Jugendberatung, also Eltern oder Lehrer, die das Gefühl haben: So geht es nicht weiter.
Einsamkeit wird dann zum ernsten Problem, wenn sie chronisch wird. Die Jugendexperten unterscheiden die äußere Einsamkeit, wenn Menschen einfach Kontakte fehlen, sie ausgegrenzt werden und /oder sich selbst abkapseln von der inneren Einsamkeit: „Das betrifft auch junge Menschen, die scheinbar ein ganz intaktes Sozialleben haben“, sagt Anke Huismann.
Viele junge Leute versuchen, aus dem Gefängnis der Einsamkeit zu entfliehen, indem sie Kontakte im internet suchen. Doch der Weg in virtuelle Netzwerke hilft oft auch nicht weiter. Huismann: „Man kann auch mit 436 Internet-Freunden sehr gut vereinsamen.“ Die fehlende Liebesbeziehung, mangelnde Freunde, das Gefühl des Alleinseins selbst in der eigenen Familie, der Ausschluss aus einer Clique, Mobbing: Die Facetten des Phänomens sind vielfältig. Die Folgen auch. Bei Suizid-Gefahr greifen feste Arbeitsabläufe der Berater
In den schlimmsten Fällen wachsen Selbstmord-Gedanken bis hin zum tatsächlich versuchten Suizid. In der Jugendberatung greifen dann feste Standards der Abklärung bis zur Überweisung in stationäre Einrichtungen: „Wann, wie, wo: Je konkreter die Betroffenen über Suizid sprechen, desto gefährlicher ist es“, sagt Huismann.
Viel früher setzt die Hilfe bei der Jugendberatung an. Informations-, Beratungs- und Therapieangebote gibt es für Einzelne, Paare, Familien und in Gruppen. Hier, in einem geschützten Raum, öffnen sich junge Menschen, deren Selbstzweifel immer größer und desen Selbstbewusstsein immer kleiner geworden ist: „Ich bin einfach verdammt einsam“, platzte es aus Sven in einer Gruppensitzung heraus. Irgendwann hatte sich der 19-Jährige einen Ruck gegeben und kam in die therapeutische Gruppe der Jugendberatung an der Ulmenstraße. Die trifft sich momentan alle zwei Wochen mit bis zu neun Teilnehmern. „Er hat wie alle anderen auch Zuspruch und Widerspruch bekommen und konnte üben, Kontakte aufzunehmen“, berichtet Jugendbetreuerin Anke Huismann. Nein, Wundermittel habe man nicht zu verabreichen an einsame Jugendliche. Aber Hoffnung, Stärkung, Rückendeckung, Begleitung, das biete man an. „Es war für mich einfach befreiend, zu sehen, dass es andere gibt, die das Problem auch kennen und mich verstehen“, sagt Sven.