Interview: „Der Wahltag selbst ist der Horror“
Werber und Heine-Uni-Dozent Frank Stauss managte Wahlkämpfe für Hannelore Kraft und Gerhard Schröder.
Düsseldorf. Frank Stauss ist Mitinhaber der Werbeagentur Butter, Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität und gehört seit mehr als 20 Jahren zu den renommiertesten Wahlkampfmanagern im deutschsprachigen Raum. Er entwickelte Kampagnen für Gerhard Schröder, Hannelore Kraft, Klaus Wowereit und andere Politikgrößen. Seine Erfahrungen hat der 48-Jährige nun in seinem Buch „Höllenritt Wahlkampf“ zusammengefasst.
Herr Stauss, wie oft haben Sie in den vergangenen Monaten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn Sie an Peer Steinbrück gedacht haben?
Frank Stauss: Ich habe manchmal die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn ich an ihn gedacht habe. Ich habe aber auch die Hände zusammengeschlagen, wenn ich darüber nachgedacht habe, was heutzutage schon reicht, um so kommentiert zu werden, wie es ihm geschehen ist. Aus meiner Sicht war es eine Aneinanderreihung von Kleinigkeiten, die dann aber am Ende so aufgebauscht wurde, dass ich mich gefragt habe, ob das noch in Relation zu dem steht, was er tatsächlich gesagt hat.
Hat Steinbrück denn überhaupt noch eine Chance?
Stauss: Ja. Erstens glaube ich wirklich, dass er Tritt gefasst hat. Zweitens sehen wir das am Manöver von Merkel, vom Euro-Olymp herunterzusteigen und auch normale Dinge wie Mietpreise und Wohnungsnot anzusprechen. Damit hat die SPD einen wunden Punkt getroffen.
Kommen wir zum Wahlkampf in Düsseldorf. Amtsinhaber Dirk Elbers ist in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund — im Gegensatz zum Gegenkandidaten Thomas Geisel. Was würden Sie ihm raten?
Stauss: Man muss treu zu sich selbst sein. Man darf nicht anfangen, auf Teufel komm raus zu jedem Thema irgendetwas zu sagen, nur damit man möglichst häufig in der Zeitung steht. Es ist ein ganz normaler Prozess, dass der Amtsinhaber bekannt ist, der Herausforderer eher weniger. Es ist auch ganz egal, ob den Gegenkandidaten nun schon 30 oder nur fünf Prozent kennen, er wird immer im Nachteil sein. Deswegen würde ich ihm raten, wirklich über Themen versuchen anzudocken, durch die Stadt gehen, die Stadt kennenzulernen, mit den Menschen zu sprechen. Es ist immer eine Chance da. Wir haben so oft erlebt, dass Amtsinhaber sich zu sicher gefühlt haben, weil sie wesentlich bekannter waren. Denken Sie mal an die vorletzte Landtagswahl zwischen Rüttgers und Kraft. Da haben ganz viele im Vorfeld gesagt, Frau Kraft habe keine Chance, weil die keiner kennt. Und ein halbes Jahr später war sie Ministerpräsidentin.
Gibt es grundsätzlich Themen, die sie niemals ansprechen würden?
Stauss: Natürlich. Es gibt es Themen, von denen man grundsätzlich weiß, dass man mit ihnen eher Wahlen verliert als gewinnt. Das Tempolimit gehört dazu. In Umfragen bekommt man zwar immer eine relativ deutliche Mehrheit dafür. Allerdings ist das in den Parteien immer ein Spalterthema. Wenn 60 Prozent dafür sind, sind eben auch 40 Prozent dagegen. Und die Frage ist, wie vehement sind die Gegner. Das Tempolimit ist ein Thema, das einfach mal ohne viel Aufsehen beschlossen werden müsste. Dann würde es geschluckt und auch nie wieder aufgehoben. Ein Beispiel dafür ist die Ehe für homosexuelle Paare. Dagegen waren auch sehr viele. Aber jetzt ist sie beschlossen, und das wird keiner mehr zurückdrehen. Der Aufschrei wäre noch viel größer. Deswegen darf man diese Themen nicht im Wahlkampf ansprechen. Denn dann geht es einfach nur darum, möglichst viele Stimmen zu bekommen.
Wie hat sich der Wahlkampf mit den Jahren verändert?
Stauss: Die Geschwindigkeit hat sich wahnsinnig verändert. Die grundlegende Strategie kann das aber gar nicht. Es geht immer um dieselben Fragen: Wer bin ich? Wofür bin ich? Wogegen bin ich? Wie organisiere ich Mehrheiten?
Was geht dann am Wahltag um 17.59.59 Uhr durch ihren Kopf?
Stauss: Das ist das schlimmste Gefühl, es geht den ganzen Tag so, auch schon die letzten Tage vor der Wahl, weil man nichts mehr tun kann. Alle Anzeigen sind geschaltet, Briefe verschickt. Aber der Wahltag selbst ist der Horror.