Düsseldorfer Schauspielhaus „Ellbogen“ von Fatma Aydemir: Kriegerinnen im Kampf mit sich selbst
Regisseur Jan Gehler erzählt im Schauspielhaus Düsseldorf den Roman „Ellbogen“ von Fatma Aydemir nach.
Düsseldorf. Ihre Sprache ist keine Parodie. Sie meinen es ernst. „Ich fick dich, du Hurensohn“, brüllt Elma dem Studenten ins Gesicht. Am U-Bahn-Gleis hat er die drei Freundinnen angemacht. Aber diesen Funken braucht es kaum, damit Hazal, Elma und Gül explodieren. Ihre Wut kennt kein Maß. Sie schreien, schlagen und stoßen ihn auf die Schienen.
Er hat es verdient, meint Hazal. Die 18-jährige lebt in Berlin, taumelt bekifft und beleidigt durch die Tage. Sie weiß nicht, wer sie ist. Türkin? Oder Kurdin? Oder eines von den vielen muslimischen Mädchen im Wedding, die ihr Leben verpfuscht haben und aufs Kinderkriegen warten? Klar ist nur, sie wird niemals so sein wie die blonde Desiree aus ihrer Klasse mit dem Glitzerlippenstift. Und klar ist auch, sie ist kein Opfer, sie bereut nicht, was mit dem Studenten passiert ist.
Wie Kriegerinnen stehen Hazal (Cennet Rüya Voß), Elma (Lou Strenger), Gül (Florenze Schüssler) und Ebru (Tabea Bettin) von hinten beleuchtet hoch oben auf einer Mauer aus Lautsprechern. Gemeinsam im Kampf gegen Eltern, Großstadt und Langeweile. Wie Rihanna singen sie: „You can stand under my umbrella“. Doch sie bieten sich keinen Schutz. Jede ist allein.
„Einsamkeit kann man nicht teilen“, lautet einer dieser Mädchen-Sätze, die ähnlich schmerzen wie ihre verbalen und handfesten Ausbrüche. Ihre Sprache ist schwer zu ertragen. Die Journalistin Fatma Aydemir berichtet in ihrem Debütroman „Ellbogen“ vom Leben ihrer Ich-Erzählerin Hazal. Hass und Enttäuschung, Sehnsucht und Einsamkeit brechen sich Bahn und scheinen von nichts und niemandem zu stoppen zu sein. Was kann diesen jungen Frauen helfen, die sich in Deutschland nicht gewollt fühlen von den „Kartoffeln“, die Istanbul und die Türkei verklären, bis sie vor Ort Staatsmacht und Krieg zu spüren bekommen?
„Angry young women“ - diesen neuen Typus hat Autorin Aydemir mit „Ellbogen“ geprägt und nur wenige Monate nach Erscheinen ihres Romans bringt Regisseur Jan Gehler die Geschichte als Uraufführung auf die Bühne. Er hat starke Spielerinnen, die sich in die Rollen werfen, durch die Zuschauerreihen stöckeln, den Souffleur beschimpfen, ihm das Textheft aus den Händen schlagen und vor innerer Zerrissenheit schreiend in die Knie gehen.
Doch Gehler („Das Schiff der Träume“, „Herr Puntila und sein Knecht Matti“) lässt die Darstellerinnen im Regen stehen, weil er keine überzeugende Theaterfassung des Romans zu bieten hat. Im ersten Teil gelingt es noch ganz gut, dass die Darstellerinnen die Rollen im schnellen Schlagabtausch wechseln und die nacherzählten Dialoge mit dem Bruder, der Mutter oder dem dealenden Freund Eugen in authentischem Tonfall vorbringen. Sie sind lautstark und empfindlich. Zutrauen würde man diesen Frauen sicher nicht, was sich in der Nacht an der Haltestelle Friedrichstraße abspielt. Das ist die Stärke des Romans, nicht des Theaterstücks.
Nachdem Hazal nach Istanbul geflohen ist, steht sie allein vor dem Publikum und trägt in einem nicht enden wollenden Monolog vor, wie es um sie bestellt ist. Was sie fühlt. Und was sie nicht fühlt: Reue. Cennet Rüya Voß hält die Spannung, führt die Zuschauer durch ihre inneren Kämpfe und gerät nie in eine Monotonie. Das ist beeindruckend. Und doch kann sie nur erzählen und nicht wirklich spielen, was mit ihr geschieht. Und so gerät der Abend eher zu einer gut gemachten Lesung eines bemerkenswerten Romans als zu einem packenden Theaterabend.