Düsseldorf „Kunst darf Zumutung sein“
Düsseldorf. Eine Zumutung war die Spielzeiteröffnung im Tanzhaus NRW. Auf der Bühne brüllen Tänzer sich die Seele aus dem Leib, schlingen schwarze Lederriemen um ihre Leiber und scheinen aus den Tiefen einer Landschaft emporgestiegen zu sein, deren Bewohner jede zivilisatorische Kontrolle über ihr Menschsein verloren haben.
Die kommunikativen Fähigkeiten sind auf archaische Erregungszustände geschrumpft, die das Publikum mit einer solchen Wucht treffen, dass einige Zuschauer den Saal am Ende des ersten Teils gereizt verlassen. Die isländische Choreografin Erna Ómarsdóttir hat das Stück „Sacrifice“ inszeniert, das am Wochenende als deutsche Erstaufführung im Tanzhaus zu sehen war. Vier Stunden dauert der als Happening angelegte Abend. Er hat es in sich.
Ómarsdóttir, die mit dem belgischen Star-Choreografen Jan Fabre und Sängerin Björk gearbeitet hat, ist eine penetrante Künstlerin, sie lässt einen keine Sekunde in Ruhe. Bildgewaltig und rätselhaft sind ihre Werke, überbordend an Symbolen, musikalische Gebilde, ohrenbetäubend und düster, auch lustig, aber nie heiter. Das vermag nicht jeder aushalten, weswegen mehr als die Hälfte der Zuschauer dem letzten der vier Teile fernbleibt. In den Pausen, und davon gab es einige, standen Henna-Tattowiererinnen und Hass-Yoga-Lehrer zur Verfügung.
Die sind doch komplett irre, die Isländer oder? Tanzhaus-Intendantin Bettina Masuch lacht. „Ja, schon. Kunst darf aber Zumutung sein. Und auch mal vier Stunden dauern. Es ist doch schön, wenn sie einmal den ganzen Abend besetzt und nicht so angelegt ist, dass noch ein Abendessen und eine Serien-Folge im Fernsehen drin sind.“