„Düsseldorfer Reden“ starten mit Herfried Münkler „Zuversicht muss erarbeitet werden“
Düsseldorf · Der renommierte Politikwissenschaftler Herfried Münkler entwarf im Schauspielhaus zum Auftakt der Düsseldorfer Reden eine neue Weltordnung.
Und Deutschland? Das ist viel wichtiger, als viele glauben. Vielleicht sogar als ihnen lieb ist. Nach Einschätzung Herfried Münklers aber hat das Land künftig in Europa eine wesentliche geopolitische Rolle einzunehmen. Nicht, weil es Deutschland unbedingt wolle. Sondern weil kein anderes Land in Europa dazu in der Lage sei. Das jedoch hätten hierzulande noch viele nicht begriffen, zögen es nach Einschätzung Münklers vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Die neue „Saison“ der „Düsseldorfer Reden“ wurde mit den spannenden Ausführungen des renommierten Politikwissenschaftlers eröffnet. Es ist die siebte Redenreihe, die das Düsseldorfer Schauspielhaus pflegt. Auch NRW-Kulturstaatsministerin Ina Brandes (CDU) gehörte zu den Zuhörern im ausverkauften Großen Haus.
In Zeiten zahlreicher Krisen und Kriege mit ungewissem Ausgang und von unabsehbarer Länge entwarf Münkler eine neue Weltordnung, wie sie sich künftig einmal für ein etwas stabileres Miteinander mit insgesamt fünf Mächten herausbilden könnte. Gesetzt dabei: die USA und China. Wegen seiner Atomwaffen auch mit im Spiel: Russland. Ein Anwärter für die Zukunft: die wachsende Wirtschaftsmacht Indien. Schließlich auch: Europa, wenn es sich denn über seine neue Rolle einig werden und Deutschland zumindest als ein Hüter seiner kontinentalen Interessen akzeptieren würde. Für Münkler sei eine neue Weltordnung schon erkennbar, sie funktioniere allerdings noch nicht.
Europa bleibt dabei ein Wackelkandidat, weil die alte Geborgenheit einer westlichen Gemeinschaft unter dem Schutzmantel der USA nicht mehr selbstverständlich sei – und das auch unabhängig von den im kommenden November anstehenden Wahlen in den Vereinigten Staaten. Denn schon seit Donald Trumps damals wahlentscheidendem Diktum „America First“ haben die USA ihre geopolitisch weltweite Hüterrolle an den Nagel gehängt. Das zeigte sich mit dem Rückzug amerikanischer Streitkräfte aus Afghanistan und spiegelt sich im derzeit anhaltenden Zögern bei der Hilfe für die Ukraine.
Und wohin führt
der Weg Europas?
In beiden Fällen wird deutlich, dass Europa dieses politische Vakuum aktuell nicht kompensieren kann oder will. Aber: „Wer ist künftig der Garant für europäische Sicherheit?“, fragte Münkler durchaus herausfordernd. Zumal viele die aktuelle „Delle“ in Sicherheitsfragen für ein vorübergehendes „Versehen der Weltgeschichte“ hielten. Wohl auch in der naiven Hoffnung, dass Putin irgendwann wieder lieb werden, und die USA die Welthüterrolle erneut beherzigen würden. Wohin Europas Reise geht, ist darum mehr als unklar. Wird es eine von fünf Weltmächten sein mit einem starken Deutschland im Herzen des Kontinents oder begibt es sich nach Münklers Worten auf den Weg einer „Selbstprovinzialisierung“ mit unabsehbaren Folgen?
Ein Testfall zur Bildung einer neuen Weltordnung im 21. Jahrhundert, wie sie Münkler in seinem jüngsten Buch analysierend skizziert hat, ist der Ausgang des Krieges in der Ukraine. Und der hat sich seit dem russischen Überfall gewandelt. Offenbar sei Russland von einem schnellen Krieg ausgegangen, von einer anfälligen ukrainischen Armee und einer Bevölkerung mit großem prorussischen Anteil. All das aber traf nicht zu. Die neue Strategie ziele nun auf einen Abnutzungs- und Ermattungskrieg, der sol ange geführt wird, bis einer der beiden Kriegsparteien nicht mehr wolle oder nicht mehr könne. Münkler zog dabei einige Parallelen zu Schlachten, wie sie im Ersten Weltkrieg zu beobachten waren.
Herfried Münkler – er wurde unter anderem 2009 für sein Werk „Die Deutschen und ihre Mythen“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse für das beste Sachbuch des Jahres geehrt – mochte sich auf Spekulationen über den Ausgang des Krieges nicht einlassen. Weil zu viele heute noch unwägbare Einflüsse eine Rolle spielten. Seine geopolitischen Auswirkungen werden so oder so immens sein. Denn die USA werden nicht mehr der große Hüter in der Welt sein wollen und vermutlich mehr als eine Art regionale Interessensverwaltung agieren.
Ein politisch düsterer Vormittag also im Düsseldorfer Schauspielhaus? Das ist nie die Absicht von Münklers Forschungen, die immer auch auf eine breite Öffentlichkeit als Leserschaft zielen. „Zuversicht“, so erklärte er darum gleich zu Beginn, „muss erarbeitet werden“. Pessimismus ist seine Sache nicht. Wohl aber das Nachdenken, das Erklären und Deuten. 800 Zuhörer im Schauspielhause dankten es ihm mit langem, herzlichem Applaus. Die neue Saison der „Düsseldorfer Reden“ ist erfolgreich gestartet.