Tim Berresheim im NRW-Forum Die Emotionalität des Digitalen
Düsseldorf · Zwischen Software und analoger Wirklichkeit: Tim Berresheim gastiert mit überwältigend sinnlichen Bildern im NRW-Forum.
Dass man mit dem PC nicht malen kann, räumt Tim Berresheim ein. Und er tut es doch. Seit mehr als 25 Jahren baut er Bilder, Räume, Skulpturen und schafft Realitäten in Rahmen, die auf den ersten Blick wie Fotografie oder Malerei wirken. Dabei bezeichnet er sich als Regisseur, der Kunst inszeniert. Der Mensch ist sein zentrales Thema.
Der 49-Jährige ist an der Schnittstelle von Vergangenheit und Zukunft interessiert, man könnte auch sagen: am Leben, an seiner subjektiven Wahrnehmung von Leben. Die Gegenwart, das Hier und Jetzt, euphorisiert ihn mit ihrem Erregungspotenzial zwischen neuer und alter Welt. Wer seine Kunst betrachtet, soll schon im Voraus den Transit durchleben, den die Menschheit gerade bewältigen muss: von der analogen zur digital erweiterten, digital dominierten Welt.
Im NRW-Forum breitet der in Heinsberg geborene Pionier von computergenerierter Kunst sein über 25 Jahre gewachsenes Werk aus. Gemeinsam mit NRW-Forum-Chef Alain Bieber hat er wie ein Archäologe der Gegenwart die Ausstellungssäle wie Höhlen ausgestattet. Berresheim: „Ich arbeite wie ein Steinzeitmensch – nur ist meine Höhle ein digitaler Ort.“ Raumhoch ist Kunst wie eine kulissenbildende Tapete an den Wänden aufgebracht, neumythologisch anmutend, farbenreich, voller Chiffren, die sich nicht sogleich enträtseln lassen. Wer dem unermüdlichen Social-Media-Poster Berresheim etwa auf Instagram folgt, kann schon seit Wochen seine Exkursionen in echte Höhlen verfolgen, die er aufgesucht hat, um den Beginn der Menschheit, die Bilder, Werkzeuge und Instrumente zu studieren: Steinzeitliche Kommunikation – was den heutigen Sammler und Jäger angeregt hat. „Mein Faustkeil ist der PC“, sagt er, er liebe sein „kognitives Werkzeug“.
Der Computer macht, was Tim Berresheim von ihm will, mithilfe von Spitzentechnologie, teuren Apparaten und hochspezialisierten Bildbearbeitungsverfahren, die zum Teil irrsinnige Datenmengen in Kunstwerke verwandeln. „Die Idee, dass ein Computer Kunst generiert, schließe ich dabei aus“, sagt Berresheim. Bei jedem Werk teile sich die Arbeit auf in 90 Prozent für den künstlerischen Prozess der Bildfindung; nur zehn Prozent überlässt er dem ausführenden PC. Mit künstlicher Intelligenz arbeitet er nicht.
Eine solche Produktion kann bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen
Es ist ein Erlebnis, der Fantasie und dem Einfallsreichtum dieses Künstlers zu folgen, mitunter auch ein Rätsel – ganz abgesehen von den technischen Finessen. Dass ein einzelnes Bild aus 100 Millionen „Perlen“ (eine Art Bildpunkte) vom PC zusammengesetzt werden, der seine Infos wiederum von Laserscans einspeist, kann man sich kaum vorstellen. Bis zu zwei Jahre kann eine solche Produktion in Anspruch nehmen. Das macht das Bild vordergründig nicht besser, aber durch die vom Künstler erklärten Hintergründe wirkt es interessant in seiner ausgefeilten, innovativen Machart.
Berresheims Themen sind weitgespannt, manches Bild ist einer anekdotischen biografischen Erinnerung entsprungen wie der Blick in seine alte Wassenberger Lieblingskneipe. Es könnte ein Foto sein, in der Dämmerung belichtet. Aber die Bilddaten kommen aus dem Scanner – aufwendig vor Ort aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen, dann Grau in Grau eingespeist, im Nachbearbeitungsprozess ausgearbeitet und eingefärbt. Der PC kann täuschend echt den Pinselstrich nachahmen, den feinen wie den groben, selbst den geschwungenen.
Ein Bild verrät nun gar nicht, was in ihm steckt, wohl aber die Technikverrücktheit des Künstlers. „Himmelszeichnerei“ von 2022 entstand in Etappen. Von Kindern gemalte Bilder sind per Flugzeug aufgestiegen, wurden zufällig zerschnitten und geheimnisvoll kondensiert. Am Ende wird wieder alles am Rechner zusammengebastelt. Berresheims abstraktes farbiges Bild trägt Tausende, wenn nicht Millionen Spuren – Trägerinformationen – in sich.
Fast genauso viel Aufwand hat er mit einem Haus betrieben. Ein Freund bat ihn, das vom Abriss bedrohte Gebäude als Kunstwerk für die Ewigkeit festzuhalten. Das Ergebnis ist umfassend und umwerfend. Einzelteile wie die Wendeltreppe hat er herausgelöst aus dem Ganzen, nun streben sie auf eigenen geometrisch bestimmten Pfaden vom Grund aufwärts, zeigen Struktur, Stil und Entstehungszeit an.
Die Welt des Tim Berresheim ist zeitnah gespiegelt, verrückt zusammengebaut, auch geschreddert, verdreht, beschönigt, aufgeladen, getönt, mythologisiert, eingefärbt. Mitunter begegnet man dem Künstler im Bild, wie er sich selbst inszeniert. Durch andere Bilder schreitet ein unverbindlicherer hochgewachsener elastischer Menschenprototyp von der Sorte, die er Aspettari (Wartende) nennt. Was Berresheim auslösen möchte? Ein freudvolles Verwundern. Dem Neuen, zunächst nicht Greifbaren ohne Angst zu begegnen, sondern aus einer warmen Emotionalität heraus. Diese Emotionalität des Digitalen fasziniert ihn. Berresheim will wohl die Spuren der Gegenwart für die Archäologen der Zukunft festhalten. So wie er es sieht. Und so, wie er dieses Leben empfindet. Diese Art von Neuvermessung der Welt ist spektakulär.