Düsseldorfer Schauspielhaus „Orestie“ von Aischylos - altgriechisches Theater modern inszeniert

Das Düsseldorfer Schauspielhaus läutet die zweite Spielzeit unter Intendant Wilfried Schulz mit der „Orestie“ von Aischylos ein.

Foto: Thomas Rabsch

Düsseldorf. Rache birgt Rache, Verderben erzeugt Verderben, Blut erzeugt Blut. Immer wieder rufen diese Worte der Chor und die Protagonisten der „Orestie“, die Aischylos vor knapp 2500 Jahren verfasste. Er feierte damit den Abschied von der Willkürherrschaft der Götter und vom ewigen Kreislauf der Blutrache und läutete gleichzeitig die Geburt der Demokratie ein.

Wie modern die Aussagen der einzig überlieferten Trilogie der griechischen Antike heute noch sind, zeigen jetzt Simon Solberg und seine überwiegend jungen Mimen in einer körperbetonten und suggestiven Inszenierung im Central, dem Provisorium des Düsseldorfer Schauspielhauses. Damit beginnt die zweite Saison unter Intendant Wilfried Schulz, der in der vergangenen Spielzeit mit einer erstaunlichen Reihe von Theatererfolgen die Landeshauptstadt wieder zu einer Adresse für Theaterfreunde gemacht hat.

Sicherlich wird auch diese nach der Premiere gefeierte Regietat des 38-jährigen Solberg ihr Publikum finden; denn die drei Teile der Tragödie — Agamemnon, Choephoren und Eumeniden — in knapp zwei Stunden in packenden und musikalisch sensibel untermalten Bildern über die Rampe zu bringen, ist schon eine Leistung. Solberg kürzte die Übersetzung von Peter Stein und verdichtet die Erzählung auf die wesentlichen Etappen des Blutrauschs am Hof des Königs Agamemnon. Und erzählen kann er. In Interviews bezieht sich Solberg dabei gerne auf den Meister des Minimalismus, den finnischen Filmemacher Aki Kaurismäki, der gesagt haben soll, dass es keine Geschichte gäbe, die sich nicht in 90 Minuten erzählen lasse.

Die Figuren und der Chor, die auf den Terrassen eines ansteigenden Bühnenbergs agieren (Dekor: Ansgar Prüwer-LeMiuex), sind moderne Typen und tragen zeitlose Kleider. Zu Beginn erkennt man auf der Berglandschaft die Umrisse der BRD und die Namen einiger Bundesländer. Diese Anspielung wird erst im Schlussbild klar: Hier beschwört die wieder auferstandene Kassandra (Seherin des Unheils und Geliebte Agamemnons) eine neue, nahezu ideale Welt, frei von Zorn und Rache, in der alle alles finden und ihr Glück machen können.

Solberg macht hier den Traum von seiner Wunsch-Republik öffentlich und verbindet die Botschaft bewusst mit reichlich Moralin. Auf plakative, politisch durchschaubare Anspielung verzichtet er. Gottlob!

Unklar bleibt indes, warum der vom Krieg siegreich heimkehrende Agamemnon (kantig: Thomas Wittmann) in Anzug und Krawatte und mit Aktentasche erscheint und sich wie ein Firmenboss an einem Sekretär der Jahrhundertwende an die Arbeit macht. Ein klarer Bezug zur dann einsetzenden Spirale von Bluttaten ist jedenfalls nicht zu erkennen.

Die Stärke dieser Tragödien-Inszenierung sind die Momente, in denen die Figuren — wie fremdgesteuert — von einem Mord in den nächsten taumeln, angetrieben von bedrängenden Worten des Chors (allesamt Studenten der Folkwang Hochschule Essen). Wie Klytämnestra (Minna Wündrich als intrigante Macherin) und ihr Liebhaber Äigisthos (Stefan Gorski als jugendlicher Draufgänger) den unerwartet zurückkehrenden König Agamemnon töten, weil er vor der Schlacht die Tochter Iphigenie den Göttern zum Opfer dargebracht hatte.

Martialisches Morden wird hier nicht gezeigt, stattdessen schütten die Rächer Eimer von Theaterblut über Agamemnon aus, der jedoch als Geist weiter auf der Bühne bleibt und seinen ebenfalls heimkehrenden Sohn Orest (Jonas Friedrich Leonhardi als verklemmter Terrorkämpfer) wiederum zur Rache und Vergeltung des Gattenmordes anstiftet und damit zum Mord an seiner Frau. Diejenige, die dem Morden ein Ende setzen will, ist Orests Schwester Elektra (Lieke Hoppe). Das nach Rache sinnende Volk möge mit Steinen abstimmen darüber, ob Orest wegen des Muttermords ebenfalls den Tod verdient habe. Erst nach deren Urteil „unentschieden“, wirft sie ihre Stimme für die Begnadigung in die Waagschale. Und beendet damit die Herrschaft von rächenden Göttern und grausamen Tyrannen.