Düsseldorfer Kultur Paul-Spiegel-Festival: Filmgeschichten, die ans Herz gehen
Eine Friedhofsdoku mit Charme — geht das? Auf jeden Fall, sagt Kathrin Rittgasser, die neue Kuratorin des Paul-Spiegel- Filmfestivals.
Düsseldorf. Wenn sie erst einmal loslegen, packen sie die Zuhörer mühelos bei ihrer Konzentration. Holocaust-Überlebende erzählen unglaubliche Geschichten, und das lässt die Schüler, vor denen sie sprechen, in der Regel nicht kalt. Die Jugendlichen stellen ihren „Ich-kann-es-nicht-mehr-hören“-Modus dann ebenso schnell wieder ab, wie sie ihn aktiviert haben. Ewig jedoch werden die mittlerweile hochbetagten Männer und Frauen nicht mehr in Schulklassen stehen, warnend vom Grauen berichten und den Wert der Menschenwürde lobpreisen.
Wenn die Generation dieser Zeitzeugen nicht mehr existiert, bleiben die Bücher, um den Nachfolgenden vor Augen zu führen, was einst war. Und es bleiben die Filme. An ihre Wirkungskraft glaubt Kathrin Rittgasser. Die Medienwissenschaftlerin ist neue Kuratorin des Paul-Spiegel-Festivals, das vom 10. bis zum 14. April in der Black Box im Filmmuseum stattfindet. „Filme sprechen die Menschen auf vielen Ebenen an, weil sie an vielen Schnittpunkten ansetzen können und weil sie Bild und Ton in einem sind“, sagt Rittgasser. „Über Filme redet jeder.“
Das ganze Jahr über hält sie Ausschau nach Kinofilmen, die das jüdische Leben beleuchten. Sie scannt Festivals und gibt acht auf das, was die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf bewegt. „Die Publikumslieblinge sind immer die Spielfilme, weil sie ein Thema narrativ aufgreifen“, sagt Rittgasser. Oder ästhetisch überzeugen wie der diesjährige Eröffnungsfilm „Die Frau in Gold“ (10.4., 14 Uhr), der obendrein eine Diskussion aufgreift, die auch in Düsseldorf geführt wird: um NS-Raubkunst in deutschen Museen.
„Dokumentationen haben es gegenüber Hollywood-Spielfilmen immer schwerer“, sagt Rittgasser und legt dem Publikum sogleich eine mit dem Titel „Im Himmel, unter der Erde“ (13.4, 18 Uhr) ans Herz. In dem Film geht es um den jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee, der äußerst lebendig daherkommt mit seinen Besuchern aus aller Welt, seinen Vogelkundlern und kauzigen Gärtnern. Das ehemalige Verwaltungsgebäude bewohnt inzwischen eine junge Familie mit Kindern. Sie bestreitet dort ihren Alltag. Nur Grillpartys darf sie nicht feiern. Aus Pietätsgründen. „Es ist ein besonders charmanter Film“, sagt Rittgasser über den Beitrag, der 2011 zum Liebling der Berlinale gewählt wurde.
Das übergreifende Motto des diesjährigen Festivals lautet Sprache und Sprechen über bzw. mit dem Medium Film. „In ,Die Frau in Gold’ wird buchstäblich Recht gesprochen“, sagt Rittgasser. „Eine andere interessante Frage ist: Wie spricht Hollywood das für Museen und Galerien unangenehme Thema der Raubkunst an?“ In einem anderen Beitrag geht es um den Übersetzer Juri Elperin, der im vergangenen September starb. Die Sprache war nicht nur von Berufs wegen sein Element. Sie war sein Ein und Alles. Zur Aufführung am 11. April kommt Regisseur Manfred Wiesner in die Black Box und wird auch dazu etwas sagen.
Elperin war einer der bekanntesten Übersetzer russischer Literatur. Seine Familie floh einst aus Deutschland in die Sowjetunion, wo sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Einschränkungen in Kauf nehmen musste. Eine leidvolle Erfahrung, die vielen der aus Osteuropa stammenden Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf nicht unbekannt sein dürfte. „Der Übersetzer“ ist ein Film, der die Erinnerungsarbeit sichtbar macht, die persönliche und die kollektive.
„Das Paul-Spiegel-Festival soll ein Ort sein für die Gemeinde und für Leute von außen“, sagt Rittgasser, deren erklärtes Ziel es ist, eine größtmögliche Schnittmenge zu erreichen. Mit Filmen, die anregen, nachdenklich stimmen oder ans Herz gehen. Sie selbst hat als Studentin an der Kasse der Black Box gearbeitet. Im vergangenen Jahr war sie im Rahmen der Jüdischen Kulturtage für das Filmprogramm verantwortlich, jetzt kuratiert sie das Paul-Spiegel-Filmfestival. „Das Festival ist ein tolles Geschenk der Gemeinde an Düsseldorf, das hilft, Land und Kultur mitzudenken.“