Spitzenförderung für zwei Düsseldorfer Künstler

Verena Billinger und Sebastian Schulz gehören zu einer neuen Generation von Choreografen. Das Land unterstützt sie.

Foto: Krauß

Düsseldorf. Verena Billinger (31) und Sebastian Schulz (28) haben’s geschafft. Ihre Tanzstücke, in denen sie das Küssen oder körperliche Gewalt im Fernsehen oder bei der Parkplatzsuche zum Thema machen, begeistern und irritieren — nicht nur das Publikum in zahlreichen Städten, sondern auch Fachleute. Die beiden Düsseldorfer, die sich seit der Schulzeit im Gymnasium Gerresheim kennen, gelten als Choreografen mit Prädikat.

Zumindest erhalten sie in den kommenden drei Jahren 65 000 Euro pro Jahr vom Kulturministerium: Im Rahmen der Spitzenförderung stehen sie dabei neben alten Hasen wie Raimund Hoghe und Ben Riepe, deren Arbeit bereits das zweite Mal von der Landesregierung für drei Jahre gefördert wird. Spitzenförderung gilt in der Szene daher als Adelsschlag.

Überrascht darüber war das Duo Schulz/ Billinger, als es den Anruf erhiel. Stolz sind die beiden Kreativen, die zusammenarbeiten („im Dialog und in auch schon mal Kontroversen“), wenn sie auch privat nicht liiert sind, und zwischen Düsseldorf und Frankfurt pendeln.

Dort ist der renommierte ‚Mousonturm’ ihr Partner, hier ist das Forum Freies Theater (FFT), wo sie jetzt ihre neue Kreation präsentieren: „Violent Event“ (gewalttätiges Ereignis). Ein Thema, das heute im Fernsehen oder auf dem Schulhof aktuell ist, das Billinger/Schulz aber schon vor anderthalb Jahren konzipiert haben. Darin lassen sie Figuren auftreten, die schlagen, reißen, zerstückeln, schießen oder dem Gegenüber den Arm verdrehen, Polizeigriffe inklusive. Ausgangspunkt ist die Frage: Wie kommt es zur körperlichen Gewalt? Welche Motive haben Gewalttätige?

Studiert haben die angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und Frankfurt, wo sie bereits ab 2009 ihre Stücke zeigen konnten. Sebastian Schulz hat zudem noch einen Abschluss in zeitgenössischem und klassischem Tanz. Ihr Hauptanliegen: „Mit szenischen Projekten wollen wir Theater verändern.“ Wie eindrucksvoll und nachhaltig ihnen das gelingt, beweist „Romantic afternoon“ (romantischer Nachmittag). „Küssen ist ein normaler körperlicher Vorgang“, formulieren sie ihre provokative These. So zeigen sie sechs Menschen, die im öffentlichen Raum inniglich knutschen.

Eine intimer Vorgang, bei dem Passanten meist wegschauen. So sind die Zuschauer beim inszenierten Kuss hin- und hergerissen, lassen sich darauf ein oder reagieren abgestoßen. Genau das ist Teil des Konzepts. Für die Performer ist es eine Herausforderung, da sie sich den ganzen Abend im wahrsten Sinne des Wortes an den Lippen hängen. „Glückshormone würden dabei freigesetzt“, sagen die beiden Künstler schmunzelnd. Klar, dass sie schon beim Casting den Tänzern reinen Wein einschenken mussten. Denn nicht jeder Performer sei dazu bereit.

Beim Freischwimmer-Festival 2011 im FFT erzielten sie aber mit den Kuss-Szenen einen überraschend großen Erfolg. Danach ging’s bergauf. Ihre Kreativität scheint durch die Finanzspritze beflügelt. So wollen sie in den nächsten Jahren dem Geheimnis der „unwahrscheinlichen Geschöpfe“ auf den Grund gehen. Monster und Götter durften nämlich in der klassischen Tradition nur im Tanz (weder in der Oper noch im Theater) auf der Bühne erscheinen. Man darf gespannt sein, welche Bilder sie dabei schaffen - Bilder, die von der Norm abweichen.