Kultur in Düsseldorf Susanne Gaensheimer (Kunstsammlung): „Wir fragen: Wer ist unser Publikum?“
Susanne Gaensheimer (50) ist eine der profiliertesten Kunstexpertinnen Deutschlands. Als neue Direktorin der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf denkt sie auch mal quer.
Düsseldorf. Susanne Gaensheimer als neuer Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf wird keine Langeweile aufkommen. Die ausgewiesene Expertin für Gegenwartskunst will Theater, Tanz, Literatur und vor allem auch junge Leute ins Museum holen. Nur vor Bildern zu stehen, reicht heutzutage nicht mehr. „Wir wollen im Museum nicht immer die gleiche Erfahrung machen“, sagt Gaensheimer (50) im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen andere Formen der Kunsterfahrung.“ Am 1. September übernimmt Gaensheimer offiziell die Leitung der Kunstsammlung NRW.
Documenta, Biennale, Skulptur Projekte - was ist Ihr Highlight in diesem Kunstsommer?
Susanne Gaensheimr: Die documenta. Ich war erst in Athen und habe dort schwer Zugang gefunden. Aber das ist wohl auch ein Prinzip der diesjährigen documenta. Adam Szymczyk hat ja das Motto ausgegeben: Wir müssen wieder lernen, nicht zu wissen. Ich finde, dass die documenta sehr tiefgreifend ist. Und ich habe auch in Kassel sehr gute Werke gesehen.
Werden die Besucher in diesem Sommer nicht überfüttert mit Kunst? Können Sie sich noch an einzelne Namen von Künstlern erinnern?
Gaensheimer: Natürlich kann man sich nur einen Bruchteil der Namen merken. Und man kann sie sich erst merken, wenn man einen konkreten emotionalen Bezug hat oder den Namen zum zweiten Mal in einem anderen Kontext sieht.
Haben die Massen an Kunstwerken, die gezeigt werden, auch die entsprechende Qualität?
Gaensheimer: Die Zugänglichkeit mag bei der diesjährigen documenta schwierig sein. Aber die Qualität stimmt.
Sie kommen als ausgewiesene Spezialistin für Gegenwartskunst an ein Haus mit einer hochkarätigen Sammlung der Klassischen Moderne — wie passt das zusammen?
Gaensheimer: Ich habe enge Berührungspunkte zur Klassischen Moderne und Nachkriegsmoderne in meiner langen Zeit am Lenbachhaus gehabt, wo ich die Abteilung für internationale Kunst nach 1945 geleitet habe und der Blaue Reiter und sein Umfeld im Zentrum stehen. Bei der Gegenwartskunst habe ich in den letzten Jahren die Perspektive erweitert auf einen globalen Raum der Kunst. Diesen Schritt finde ich nun auch wichtig für die Klassische Moderne und die Nachkriegsmoderne in der Düsseldorfer Landesgalerie.
Wie wollen Sie die Klassische Moderne denn neu präsentieren?
Gaensheimer: Wir sind mitten in einem Forschungsprojekt mit dem Titel „Museum global“, das von der Bundeskulturstiftung finanziell unterstützt wird. Die einzelnen Kuratorinnen der Kunstsammlung NRW forschen über die Entwicklung der Moderne in unterschiedlichen Ländern und Kontinenten, ich selber auch. Die Ergebnisse werden dann nicht nur einmalig in einer Ausstellung präsentiert, sondern unsere zukünftige Umgangsform mit der Sammlung prägen.
Die Sammlung wird also nicht mehr isoliert betrachtet?
Gaensheimer: Es wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der vorhandenen Sammlung, die ja eine paradigmatisch westliche ist, und künstlerischen Entwicklungen in derselben Zeit in anderen Bereichen der Welt. Es geht darum zu verstehen, dass wir in Europa und Nordamerika eine bestimmte Konzeption von Moderne entwickelt haben und dass es in anderen Teilen der Welt andere Konzepte und Entwicklungen gibt. Dabei kann man Parallelen und Unterschiede feststellen. Die Frage ist, wie können wir unsere Perspektive ergänzen. Es geht primär um eine Ergänzung.
Die Besucher wollen aber auch gern das Altbekannte, Dix oder Picasso, sehen.
Gaensheimer: Natürlich, das wird auch so bleiben. Die Werke bleiben in der Sammlung präsent. Und es wird auch in Zukunft Einzelausstellungen von Künstlern und Künstlerinnen der Klassischen Moderne und der Nachkriegsmoderne geben - sowohl aus dem europäischen Raum als auch international.
Sind Besucherzahlen und Blockbuster heute noch das wichtigste Erfolgskriterium für ein Museum?
Gaensheimer: Ich glaube, dass in Zukunft die Größe von Ausstellungen nicht mehr diese Relevanz haben wird. Wir müssen die Frage anders stellen: Wer ist unser Publikum, und wen wollen wir ansprechen? Dementsprechend müssen wir unser Programm entwickeln. Das bedeutet nicht nur Ausstellungen, sondern auch Vermittlung und Bildung. Da können wir ganz andere Besuchergruppen ansprechen. Das haben wir im MMK in Frankfurt gesehen und das sieht man etwa auch bei der Tate in London.
Welche Rolle spielen dabei die sozialen Medien? Sie müssen auch ein junges Publikum ansprechen. Und das hat doch alles andere zu tun, als ins Museum zu gehen.
Gaensheimer: Da habe ich eine andere Erfahrung gemacht. Wir haben in Frankfurt sehr stark auf soziale Medien gesetzt und dadurch eine ganz andere Generation erreichen können. Dabei stellte sich heraus: Je mehr Menschen wir im digitalen Raum erreichen, desto mehr kommen ins Museum. Auch die jüngere Generation hat Interesse an der authentischen Erfahrung und will Ausstellungen sehen. Auch junge Menschen wollen die reale Begegnung und nicht nur alles im Netz abhandeln.
Heute wird Kunst Theater und Tanz wird Kunst. Das sieht man an den Performances allüberall oder auch daran, dass der Kurator Chris Dercon neuer Chef der Berliner Volksbühne wird. Wie wird sich die Kunst in der Zukunft entwickeln?
Gaensheimer: Dieser interdisziplinäre Ansatz ist eine unglaublich inspirierende Möglichkeit, um mehr über die Kunst, die Gesellschaft und über sich selbst zu erfahren. Wir wollen im Museum nicht immer die gleiche Erfahrung machen. Wir wollen andere Formen der Kunsterfahrung. Vor allem jüngere Leute finden es spannend, wenn sie partizipativ an einer Ausstellung teilnehmen können und nicht nur vor einem Bild stehen und es ansehen. Wir müssen das Sehen ausweiten in eine mehrdimensionale Erfahrung von Kunst.
Wäre es vorstellbar, dass die Oper oder Ballettchef Martin Schläpfer etwas im Museum machen?
Gaensheimer: Wir haben in Frankfurt sehr fruchtbare Kooperationen mit dem Schauspiel, der Alten Oper oder dem Literaturhaus gehabt. Es wäre schön, wenn das hier in Düsseldorf auch möglich wäre. Da kann man nur voneinander lernen und profitieren.
Ihr Verhältnis zu Joseph Beuys?
Gaensheimer: Gute Frage. Zweifelsfrei sind er und Andy Warhol die zentralen Pole für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der Gegenwartskunst in Deutschland ist Beuys einfach eine Grundlage.