Was kann die Politik tun? Fast jeder zehnte Mensch in NRW leidet an Diabetes
Düsseldorf · Besonders groß ist der Anstieg bei den 40- bis 44-Jährigen. Die SPD fordert einen landesweiten Rahmenplan.
In ganz Deutschland leiden etwa 6,7 Menscen an Diabetes, im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind es 1,6 Millionen Menschen. Das bedeutet: Fast jeder zehnte NRW-Bürger ist betroffen – das geht aus der Antwort des Landesgesundheitsministeriums auf eine Große Anfrage der SPD im Düsseldorfer Landtag hervor. Die Sozialdemokraten fordern umfassende Konsequenzen: einen Diabetes-Rahmenplan für NRW. Die Landesregierung winkt ab.
Das größte Risiko, an Diabetes zu erkranken, haben hierzulande alte und arme Menschen: Im Alter von 80 bis 84 Jahren leidet fast jeder dritte NRW-Bürger unter der Volkskrankheit (32 Prozent). Bei Menschen mit niedrigem Sozialstatus trat sie 2018 fast doppelt so häufig auf (14,2 Prozent) wie bei Menschen mit hohem Status (acht Prozent). Auffällig ist: Den größten Anstieg der Erkrankten gab es mit 61 Prozent zwischen 2008 und 2017 in der mittleren Altersgruppe der 40- bis 44-Jährigen.
Was die SPD ebenfalls besonders umtreibt: Auch regionale Unterschiede gibt es. So sind in den Ruhrgebietsstädten Duisburg, Essen, Bochum, Gelsenkirchen, Herne und Dortmund überdurchschnittlich viele Menschen an Diabetes Typ 2 erkrankt, ebenfalls in den Kreisen Heinsberg, Düren, Siegen-Wittgenstein und im Märkischen Kreis sowie in Mönchengladbach und Leverkusen. Das Gesundheitsministerium selbst schreibt in seiner Antwort, hier „könnten unter anderem sozioökonomische Faktoren eine Rolle spielen“. In den Augen des Wuppertaler SPD-Abgeordneten Josef Neumann – selbst Diabetes-Patient – ein Unding: Die Zuckerkrankheit sei somit auch ein Thema der sozialen Gerechtigkeit. Einen „Offenbarungseid“ nennt er es, dass dem Ministerium keinerlei Erkenntnisse zu Diabetes bei Migranten vorliegen.
Laut Sozialdemokraten fehlt den Diabetologen Nachwuchs
Die Große Anfrage und die Antwort der Landesregierung sollen in der kommenden Plenarwoche diskutiert werden. Im Februar wollen die Sozialdemokraten dann die Idee eines landesbezogenen Diabetesplans ins Plenum tragen. Neumann glaubt: Die „gesellschaftliche Herausforderung“ der steigenden Krankheitsfälle verlangt nach einer ganzheitlichen Betrachtung. So müsste die Versorgung speziell in den überproportional betroffenen Regionen gestärkt werden. Diabetes und seine Folgeerkrankungen sollen bei der Krankenhausplanung berücksichtigt werden. Aber auch generell sieht die SPD die Versorgung langfristig gefährdet: Viele Diabetologen in NRW stünden vor dem Ruhestand; an Nachwuchs fehle es mangels finanzieller Anreize und Ausbildungsmöglichkeiten.
Die SPD fordert Schulungen zur Diabetes-Prävention in Kitas und Schulen. Vor allem aber, dass sich die Landesregierung für eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für Zucker in Lebensmitteln sowie für eine höhere Besteuerung von Softdrinks einsetzt. Das hat diese dem Inhalt der Antwort auf die Große Anfrage zufolge allerdings nicht im Sinn. Man sehe bei der Prävention „den Schwerpunkt in der universellen Vermittlung eines gesunden Lebensstils“. Und die Versorgung der Patienten in NRW sei überdies gesichert.
Doch so schnell wollen die Sozialdemokraten um Neumann nicht aufgeben. Weitere Anträge zu Einzelaspekten rund um Diabetes seien in Planung. Zudem will man Institutionen, Ärzte und Betroffene jetzt zu einem Fachgespräch in den Landtag holen, um zu beraten, was die Politik doch noch beitragen kann, um die Ausbreitung der Zuckerkrankheit einzudämmen.