Kranke Kinder: Wenn Eltern eine Pause brauchen

DRK-Schwester Annette Boy hilft pflegenden Familien bei Betreuung und Behördenkram. Sie weiß, wovon sie spricht: Sie hat selbst einen stark gehandicapten Jungen.

Krefeld. Freud und Leid liegen bei einer Geburt eng beieinander. Vor allem dann, wenn ein Säugling zu früh, behindert oder schwerstkrank auf die Welt kommt. „Dadurch kommen Eltern schnell ans Ende ihrer Kräfte“, sagt Annette Boy. Sie weiß das nur zu gut. Die 43-Jährige ist nicht nur bei der DRK-Schwesternschaft als Pflegeberaterin Ansprechpartnerin für hilfesuchende Familien. Sie ist auch Mutter zweier Söhne, der Jüngere davon ist von Geburt an schwer behindert.

Elias ist heute fünf Jahre alt. Er kann nicht alleine laufen, nicht sprechen, nimmt Essen nur über eine Magensonde auf und ist auch im Vergleich zu Gleichaltrigen geistig weit zurück. Dennoch blickt er den Besuch beim Eintreten aufmerksam an und erwidert die Begrüßung mit einem herzlichen Lächeln.

„Der Loslöseprozess findet bei schwer behinderten Kindern nicht statt, man hat 18 Jahre lang und länger ein Baby, das aber immer größer und schwerer wird“, erzählt die schlanke, brünette Frau. Noch kann sie Elias mal eben auf den Arm nehmen und hinüber zum großen bequemen Sofa tragen. Doch der Junge wird immer schwerer. „Und das geht nicht nur in den Rücken.“

Wie aufreibend ein solches Familienleben sein kann, hatte Annette Boy schon kurz nach der Geburt erfahren. „Hast du gewusst, dass du ein behindertes Kind bekommst?“, sei sie häufig gefragt worden. Und mal mehr, mal weniger direkt hätten viele ihr Verständnis bekundet, wenn sie in der Schwangerschaft abgetrieben hätte. Für sie kein Thema.

Während Annette Boy von ihrem Mann Rolf und ihren Eltern unterstützt wird, weiß sie von vielen Ehen, die an dieser Belastung zerbrechen. Diesen Paaren möchte sie helfen und hat dabei in Oberin Karin Meincke eine Mitstreiterin in der Sache gefundene.

Die DRK-Schwesternschaft ist dabei, ein Hilfenetz für Familien aufzubauen. Neben dem bereits bestehenden Projekt für ambulante und palliative Kinderkrankenpflege, kurz Stups genannt, planen DRK-Oberin Karin Meincke und Annette Boy eine 24-stündige Rundumversorgung in Form eines Kinderhotels mit Tages- und Nachtpflege. Dieses soll gesunden und behinderten Kindern zur Verfügung stehen.

„Eltern schwerstkranker Kinder brauchen auch mal Zeit, um sich von dieser intensiven und Kräfte zerrenden Pflege zu erholen, ansonsten droht vor allem den Müttern ein Burn-Out“, erklärt die Fachkrankenschwester und Pflegeberaterin. Sie bräuchten darüber hinaus auch mal ungestört Zeit für Geschwisterkinder. „Im Alltag dreht sich ansonsten alles um das kranke Kind, und die anderen kommen dabei unweigerlich zu kurz.“

Bereits jetzt gebe es die Möglichkeit einer kurzweiligen Entlastung der Pflegepersonen über die gesetzlich geregelte Verhinderungspflege. „Das muss aber eine gelernte Kinderkrankenpflegerin sein, die in der Stunde zwischen zehn und 30 Euro kostet“, sagt Annette Boy. Die seien in den seltensten Fällen rund um die Uhr im Einsatz und abrufbar in Notfällen, wie einer ernsten Erkrankung der Mutter oder eines Geschwisterchens. „Bei einem seriösen Kinderhotel wüsste man das eigenen Kind jederzeit in guten Händen.“ Kurzzeitpflegeeinrichtungen für Kinder gibt es in NRW zu wenig.Kurzfristig einen Platz zu bekommen ist so gut wie unmöglich.

Dafür muss die DRK-Schwesternschaft in NRW noch dicke Bretter bohren. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist das Angebot der Rund-um-Betreuung hier nicht erlaubt. „Der Gesetzgeber sieht das Kindeswohl in Gefahr“, berichtet die 43-Jährige — und schüttelt bei den Worten ob dieser Ignoranz gegenüber den Pflegenden den Kopf.

Aus ihrer beruflichen und persönlichen Erfahrung weiß sie schließlich, wie schwer es Familien mit behinderten Kindern im Umgang mit Behörden, Pflege- und Krankenkassen gemacht wird. „Ein Kinderhotel mit Pflege rund um die Uhr — auch für Geschwisterkinder — wäre für alle eine große Hilfe.“