Krefelds Kampf um das ICE-Werk
Übertragung der Siemens-Bahnsparte an den französischen Alstom-Konzern könnte den Uerdinger Standort gefährden.
Krefeld. Eigentlich ist Ralf Claessen ein besonnener Mann. Aber das Thema Siemens/Alstom bringt den Chef der Krefelder IG Metall auf die Palme. „Es kann nicht sein, dass dieses Tauschgeschäft auf Kosten des Werkes in Krefeld-Uerdingen geht“, sagt der Gewerkschafter. „Einen besseren Standort für die Entwicklung und Fertigung von Zügen gibt es nirgendwo.“
Was Claessen ärgert, ist ein Plan von Siemens-Chef Joe Kaeser. Der hatte dem französischen Alstom-Konzern die Übertragung der Siemens-Bahnsparte unter Führung der Franzosen vorgeschlagen. Im Gegenzug will Kaeser die Alstom-Energiesparte oder vielleicht sogar das ganze Unternehmen übernehmen.
Pikant daran ist, dass Siemens und Alstom bei Hochgeschwindigkeitszügen scharfe Konkurrenten sind. ICE kontra TGV. Sehr zum Missfallen der Franzosen hatte Siemens die 600 Millionen Euro schwere Order für Eurostar-Züge unter dem Ärmelkanal erhalten und damit den bisherigen Stammlieferanten Alstom ausgestochen. „ICE und TGV — das passt nicht zusammen“, sagt Claessen. „Einer von beiden wird dann untergehen.“
Wie leistungsstark das Krefelder Werk mit seinen rund 2400 Beschäftigten ist, zeigen die Zahlen: Die Aufträge der Bahnsparte mit einem Wert von 16 Milliarden Euro reichen bis ins Jahr 2023. Die Züge aus Krefeld rollen in Spanien, Russland und China. Seit März dieses Jahres ist der Typ Velaro als Weiterentwicklung des ICE 3 für die Deutsche Bahn unterwegs.
Ende 2017 soll der ICx als neue ICE-Generation ausgeliefert werden. 130 Züge hat die Bahn bestellt. Eine Option auf insgesamt 300 ist unterzeichnet. Es ist mit 5,3 Milliarden Euro der größte Einzelauftrag, den die Bahn je vergeben hat. Dass Siemens-Chef Kaeser sich trotz dieser Erfolge von der Bahnsparte trennen will, hat einen simplen Grund: die Rendite ist mit 3,7 Prozent zu gering. Acht bis zwölf Prozent sollen es sein — so die Vorgabe für den Konzernumbau.
Laut Claessen wäre die Rendite deutlich höher, wenn Siemens anders rechnen würde. „Beim Bau der Züge sind die Margen gering. Das Geld wird beim folgenden Service- und Ersatzteilgeschäft verdient. Aber diesen Gewinn verbucht Siemens an anderer Stelle im Konzern.“
Tatsache ist allerdings auch, dass kaputte Klimaanlagen und Lieferverzögerungen am ICE-Image kratzen und die Rendite schmälern. „Diese Fehler wurden nicht im Krefelder Werk gemacht“, erläutert der Gewerkschafter. „Siemens kauft Leistungen ein, um zu sparen. Die Pannen zeigen, dass sich das auf Dauer nicht rechnet.“
Noch ist in Sachen Alstom nichts entschieden. Ein Verkauf an den US-Konzern General Electric scheint ebenso möglich wie das Geschäft mit Siemens. Ende Mai soll es Klarheit geben. „Wenn tatsächlich die Franzosen das Ruder übernehmen, sind betriebsbedingte Kündigungen tabu“, zeigt sich Claessen kämpferisch. „Alstom muss dann die Tarifverträge von Siemens übernehmen.“
Aus Sicht des IG-Metall-Funktionärs besteht allerdings die Gefahr, dass beim Erhalt von Standorten politisch und nicht wirtschaftlich entschieden wird. Kaeser hatte seine Offerte an Alstom mit der Zusicherung verknüpft, dass es in Frankreich keinen Abbau von Stellen geben soll. Krefeld könnte dann das Nachsehen haben. Claessen: „Ich erwarte, dass ökonomische Spielregeln gelten. Dann müssen sich die Beschäftigten in Uerdingen keine Sorgen machen.“