Interview Wachsam gegen sexuelle Gewalt
Wegen des Missbrauchsskandals am Canisius-Kolleg in Berlin leitete das Bistum ein Präventionsprogramm ein. In Krefeld sind mehr als 1300 Mitarbeiter in Schulen, Kitas und Gemeinden geschult. Was das heißt, erklärt Gabi Rinass-Goertz vom Katholischen Forum.
Krefeld. Erst nach Jahren des Schweigens kamen die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin 2010 ans Licht. Dieser Skandal befeuerte noch einmal die Diskussion um sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche. Eine der Konsequenzen im Bistum Aachen war ein Präventionsprogramm. Seit 2012 haben in der Folge allein in Krefeld rund 1300 Mitarbeiter von katholischen Kirchengemeinden, Erzieherinnen katholischer Kindergärten und Lehrer der drei bischöflichen Schulen einen entsprechenden Basiskurs durchlaufen. Welche Ziele, Erkenntnisse, Reaktionen, aber auch Widerstände dazu gehörten und wie es in Zukunft weitergeht, erklärt im Interview Gabi Rinass-Goertz, Fachbereichsleiterin des Katholischen Forums Krefeld, die die Präventionsschulungen Ehrenamtlicher und Hauptamtlicher koordiniert und auch selbst geschult hat.
Frau Rinass-Goertz, um was ging es in den Basiskursen?
Gabi Rinass-Goertz: Es ging zum Beispiel um Informationen über die Auswirkungen von sexueller Gewalt bei den Betroffenen, eine Übersicht über die Gesetzeslage, Grundrisse der psychosexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Aber auch um die Täter-Opfer-Spirale, die Abwärtsspirale von Macht und Abhängigkeit.
Was ist damit gemeint?
Rinass-Goertz: Dabei geht es darum, wie sich der Täter mit dem Opfer erst vertraut macht, was wie eine Anbahnung einer freundschaftlichen Beziehung aussieht, dann kommt es zu zufällig wirkenden Berührungen, um auszutesten, ob das Kind oder der Jugendliche Grenzen setzt und auch aufrecht erhält. Wenn das nicht so ist, werden die Grenzverletzungen wiederholt, die Berührungen intensiver, die Taten werden zum Geheimnis gemacht und das ganze mit Geschenken oder Drohungen unterstützt.
Wird man so etwas verhindern können, wenn man im Basiskurs war?
Rinass-Goertz: Man wird nicht erreichen können, dass es nie wieder Übergriffe gibt. Aber das Hauptziel der Kurse war eine Sensibilisierung für die Zeichen solcher sexueller Gewalt, um weitere Übergriffe zu verhindern. Wir haben ein Wachwerden erreicht. Oft denken die Menschen, die bei Kindern und Jugendlichen eine Verhaltensveränderung beobachten, dass Trennungen, Jobverlust im Elternhaus, ein Umzug oder Ähnliches schuld sind. Aber wir wollten eben erreichen, dass sie auch sexuelle Gewalt als mögliche Ursache nicht vergessen.
Sind sie damit bei allen Teilnehmern auf Verständnis gestoßen?
Rinass-Goertz: Bei fast allen. Selbstverständlich gibt es immer Hardliner, die sagen: „Wozu? Was soll das? Bei uns ist doch nix.“ Aber wir erreichen eigentlich alle, wenn klar wird, dass sie durch den Kurs auch für andere Kinder in ihrem Umfeld sensibilisiert sind. Es geht hier ums Kindeswohl. Es geht ja bei den Präventionsangeboten nicht darum, kirchliche Mitarbeiter unter Generalverdacht zu stellen. Die Kursteilnehmer sind diejenigen, denen nun auffallen wird, wenn etwas nicht stimmt. Und das kann auch im Elternhaus oder beim Fußballtraining seinen Ursprung haben.
Und was können diejenigen dann tun?
Rinass-Goertz: Die Handlungswege zeigen wir ihnen auf. Eine große Sorge der Menschen ist oft, dass sie jemanden fälschlicherweise verdächtigen. Bei der Frage, welche Schritte man dann gehen kann, bekommen sie Hilfe. Beim Bistum gibt es beispielsweise eine Hotline der Präventionsbeauftragten. Und es wurden als Ansprechpartner vor Ort vom Bistum sogenannte Präventionsfachkräfte ausgebildet. Sie übernehmen eine Art Lotsenfunktion. Davon gibt es in der Region Krefeld sieben. Und all das läuft unter absoluter Schweigepflicht.
Was steht denn für die Zukunft an? Was ist, wenn Personal in Kitas, Schulen und Gemeinden wechselt?
Rinass-Goertz: Die Basisseminare laufen weiter. Das heißt, bei Personalwechsel, Neueinstellungen oder Widereinstiegen ist für Information gesorgt. Und diejenigen, die die Basiskurse besucht haben, müssen alle nach fünf Jahren zu einer Vertiefungsschulung. Da können sich die Gruppen auch selbst Themen wünschen, die genauer betrachtet werden sollen, wie zum Beispiel Gewalt im Internet oder die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Denn Übergriffe Minderjähriger untereinander sind auch ein ganz wichtiges Thema.
Sie haben selbst auch geschult. Wie war das für Sie?
Rinass-Goertz: Für mich war die Arbeit möglich, weil ich Menschen hatte, mit denen ich mich austauschen konnte, wenn in den Kursen doch mal Fälle als Beispiele genannt wurden, die mir nahe gingen.
Die Gemeinden und Pfarreien, Kitas, bischöflichen Schulen und Offenen Türen sind vom Bistum aufgerufen, bis Ende 2018 ein Schutzkonzept für ihre Bereiche zu erarbeiten. Worum geht es dabei?
Rinass-Goertz: Es geht generell um die Frage: Wie schützen wir unsere Kinder und Jugendlichen? Wie gehen wir mit Übergriffen untereinander oder in den eigenen Reihen um? Wie verhindern wir dunkle und uneinsehbare Ecken? Ziel des institutionellen Schutzkonzepts ist, dass die Prävention fester Bestandteil der Arbeit in den Gemeinden und anderen kirchlichen Rechtsträgern ist. Einige Punkte sind schon umgesetzt. Zum Beispiel, dass von Mitarbeitern ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt werden muss. Teil des Konzepts ist auch die Erarbeitung, Veröffentlichung und Umsetzung eines Verhaltenskodexes, der für alle verbindlich ist. Und dass die Beschwerdewege bekannt sind und auch eingehalten werden.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Rinass-Goertz: Ich habe die Hoffnung, dass die Schulungen nicht nur ein Aushängeschild sind, sondern dass im internen Bereich die Verfahrenswege, die wir vermitteln, wenn etwas passiert ist, auch eingehalten werden.