Böse Worte statt „Stille Nacht“

Gerade wenn es besinnlich werden soll, lauert in vielen Haushalten handfester Streit. Kommunikationsberaterin Nicole Hilse rät zu respektvollen, klärenden Gesprächen.

Böse Worte statt „Stille Nacht“
Foto: Red

Lässt sich der Streit unterm Weihnachtsbaum vermeiden?

Nicole Hilse: Gänzlich leider nicht. Menschen haben nun mal unterschiedliche Ansichten. Nicht immer bleiben Meinungsverschiedenheiten rein sachlich, sondern werden emotional und eskalieren zum handfesten Konflikt. Grundsätzlich — also nicht nur in der Weihnachtszeit — hilft es, Verärgerung und Probleme offen zu äußern. Nicht als Vorwurf, sondern beispielsweise als Wunsch, zukünftig etwas ändern zu wollen.

Stress, Langeweile, zu hohe Erwartungen: Warum eskaliert die Lage immer dann, wenn eigentlich Ruhe einkehren könnte?

Hilse: Gerade weil Ruhe einkehrt, kommen die Konflikte hoch. Viele muten sich einen enormen Endjahresstress zu, in dem Glauben, alles werde gut, wenn erstmal Weihnachten ist. Der erhoffte Zustand von freudvoller Entspannung stellt sich aber leider nicht automatisch mit dem Anknipsen der Lichterkette am Tannenbaum ein.

Aber es könnte doch so schön sein . . .

Hilse: Wenn die Anspannung der Vorbereitungen von einem abfällt, ist da meistens erstmal ein Gefühl von Leere und unerfüllten Bedürfnissen. Wer dann auf dem falschen Fuß erwischt wird, schafft es nicht immer, sein Verhalten zu kontrollieren und holt zum verbalen Rundumschlag aus.

Glätten sich die Wogen erfahrungsgemäß schnell wieder oder liegen die eigentlichen Probleme oft tiefer?

Hilse: Beides ist möglich. Tatsächlich können kleine Themen tief liegende Beziehungskonflikte zu Tage fördern. Da kann beispielsweise die harmlos scheinende Frage „Hast du gar nicht selbst gebacken?“, die eine Mutter ihrer erwachsenen Tochter beim weihnachtlichen Kaffeetrinken stellt, von dieser als ein seit Kindertagen wiederkehrender Vorwurf verstanden werden. Sie hört in dieser Frage, dass sie es noch nie geschafft habe, es ihrer Mutter recht zu machen.

Und wie lässt sich das vermeiden?

Hilse: Um das Fest nicht vollends zu verderben, helfen für den Moment Gelassenheit und der Gedanke „Weihnachten ist nur einmal im Jahr“. Für die Zukunft braucht es aber dringend klärende Gespräche zur Neujustierung der Mutter-Tochter-Beziehung und gegebenenfalls eine Familienmediaton.

Gelassenheit ist ja mittlerweile zum Allheilmittel geworden. Ein überstrapaziertes „Modewort“ oder ein Weg zur Problemlösung?

Hilse: Gelassenheit ist zwar eine Art, mit Problemen um-zugehen, kann sie aber auf Dauer nicht lösen. Vor allem dann nicht, wenn eine verkürzte „Mir ist alles egal“- Haltung den Zustand nur konserviert. Dann verleugnet man zum einen, was einem selbst wichtig ist und eckt aufgrund von Gleichgültigkeit gegenüber Sachverhalten bei seinen Mitmenschen an. Ich halte es für zielführender, wechselseitig Respekt und Akzeptanz zu praktizieren.

Von den Weihnachtstagen zum Jahresende ist der Weg ja nicht allzu weit. Fällt einem dann womöglich auch noch schmerzlich all das auf die Füße, was mal wieder nicht gelungen ist im vergangenen Jahr?

Hilse: Wenn man das Jahr Revue passieren lässt, sind leider oft die Negativerlebnisse und entgangenen Gelegenheiten der letzten Monate präsenter. Das ist normal, weil sie stärker mit Emotionen verknüpft sind. Man kann aber ganz bewusst einen Perspektivwechsel vornehmen und wird schnell merken, dass sich viele kleine Erfolge finden lassen. Auch wenn man meint, alles sei schief gegangen.