Haan: Kinderarzt am Ende seiner Kapazität

"Ich arbeite 50 Stunden in der Woche plus Notdienste und Fortbildungen. Privatpatienten behandele ich in meiner Mittagspause, damit es nicht zu Lasten der Kassenpatienten geht. Das reicht", sagt der Haaner Mediziner Dr. Rolf-Peter Zaß.

Haan. "Ich kann einfach keine neuen Patienten mehr aufnehmen." Die Aussage fällt Dr. Rolf-Peter Zaß sichtlich schwer. Er ist mit Leib und Seele Kinder- und Jugendarzt. Doch inzwischen sind der Haaner Mediziner und sein Team am Rande der Kapazität. "Ich arbeite 50 Stunden in der Woche plus Notdienste und Fortbildungen. Privatpatienten behandele ich in meiner Mittagspause, damit es nicht zu Lasten der Kassenpatienten geht. Das reicht", sagt der Haaner Mediziner. Budgetierung und Leistungseinschränkungen im deutschen Gesundheitssystem machen ihm und seinen Kollegen schwer zu schaffen.

"Wenn uns im Winter eine Infektwelle überrollt, haben wir zu Hochzeiten 120 Patienten am Tag in der Praxis", sagt der 53-Jährige. "Da bleiben im Schnitt eigentlich nur fünf Minuten für ein Kind. Das geht nicht. Mein Hauptjob ist Prävention, Aufklärung über Ernährung und Bewegung. Dazu sind viele Gespräche mit Eltern nötig. Hinzu kommen vorgegebene Termine wie regelmäßige Vorsorge-Untersuchungen von Säuglingen bis hin zu Jugendlichen. Die sind sehr zeitintensiv. Zeit brauche ich außerdem für Notfälle.

Wie soll ich im schlimmsten Fall in der Kürze diagnostizieren, ob es sich nur um einen Infekt oder Leukämie handelt", spitzt er die Situation zu. "Die Verantwortung wird hier einfach auf die Ärzte abgeschoben. Es kann nicht sein, dass es zu meinen persönlichen Lasten oder auf Kosten meiner eigenen Familie geht."

Kein Wunder, dass Zaß den Schritt seines ehemaligen Haaner Kollegen Alexander Schulze-Berge mit einem Anflug von Neid verfolgt. Der Kinderarzt wanderte vor gut einem Jahr nach Luxemburg aus. "Ich arbeite in der Regel auch heute von 8 bis 17 Uhr, dazwischen liegen zwei Stunden Mittagspause. Das macht etwa zwei Stunden Arbeit weniger als in Deutschland", erklärte der 46-Jährige jetzt einem deutschen Ärzteblatt. Zudem arbeite Schulze-Berge noch in der Ambulanz und auf der Station eines Krankenhauses seiner neuen Wahl-Heimat, so dass er seine Patienten auch dort weiter betreuen könne.

Schulze-Berge auf die Frage, warum er mit seiner Frau, die ebenfalls Ärztin ist, und seinen beiden Kindern sein Heimatland verlassen habe: "Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das Gesundheitssystem in Deutschland nicht mehr gerecht zu mir war. Wir wollten nicht mehr das Gefühl haben, dass Qualität keine Rolle mehr spielt und nicht gewürdigt wird." In Luxemburg zahlt der Patient beim Verlassen der Praxis bar und bekommt das Geld anschließend von der Kasse wieder. Die Beträge sind höher als die der gesetzlichen Kassen in Deutschland und etwas niedriger als die der privaten Versicherungen.

"Die Umstellung auf dieses System wäre in Deutschland viel zu aufwändig und mit einer enormen Bürokratie verbunden", ist Rolf-Peter Zaß sicher. "Aber gerechter ist die Abwicklung schon". Einen kleinen Lichtblick bildet für die deutschen Ärzte eine Neuregelung ab 1. Januar 2009.

"Wer viel arbeitet, wurde bisher bestraft", gibt auch Ruth Bahners zu bedenken. Ab Januar nächsten Jahres soll die Gebührenordnung aber immerhin in Euro gestaffelt und das Budget gelockert werden", erklärte die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein auf Anfrage. Der Vorteil für die Ärzte ist laut Ruth Bahners, dass sie in Zukunft sofort wissen, wie viel sie verdient haben. Bisher seien 30 Prozent der ärztlichen Leistungen nicht bezahlt worden. "Künftig soll der Betrag erst ab dem 100. Patienten abgestaffelt werden. Das verlangen die Krankenkassen mit Blick auf ihre eigene finanzielle Situation.". Das Grundproblem ändert sich dadurch für Mediziner wie den Haaner Kinderarzt nicht. Je mehr Patienten sie behandeln, desto eingeschränkter sind sie.

"Es sind vor allem junge Ärzte, die direkt nach ihrer Ausbildung ins Ausland gehen", weiß auch Ruth Bahners. Nach einer Erhebung der Bundesärztekammer gingen 2007 insgesamt 2439 Ärzte ins Ausland, der Anteil der deutschen Ärzte lag bei 77 Prozent. "Die Abwanderung hat damit - auf einem hohen Niveau - gegenüber dem Jahr 2006 mit 2575 Ärzten leicht abgenommen", so die Bundesärztekammer. Das mit Abstand beliebteste Land war die Schweiz (684), gefolgt von Österreich (269), den USA (195) und Großbritannien (101). Die prozentual höchste Abwanderung verzeichneten Baden-Württemberg und Bayern.