Süßer die Glocken nie klingen. . .
Heute wird in den Gottesdiensten zur Weihnacht geläutet — ein kulturgeschichtlicher Einblick in die Riesen aus Bronze und Stahl.
Ratingen. Keine der Ratinger Glocken schlägt 13. Das galt schon im alten Volksglauben als „des Teufels Dutzend“. Und das macht auch keine Uhr. Nun sind die großen Glocken ohnehin nicht dazu da, den Gläubigen klarzumachen, was die Stunde geschlagen hat, sondern unter anderem, um ihre Schäfchen zum Gottesdienst zu rufen. Es wird, auch zur Weihnacht und zum Jahreswechsel, jedenfalls nicht wild drauflos geläutet, sondern nach einer „Läuteordnung“.
Das Gebetsläuten zu den Tageszeiten ist auf die Stundengebete der Klöster zurückzuführen. Heute wird, außer in „lebenden Klöstern“ (wie bei St. Suitbertus), nur dreimal am Tag geläutet; am Morgen (Laudes), am Mittag (Sext/Mittagshore) und am Abend (Vesper). Das Läuten zu den Tageszeiten gibt es sowohl bei Katholiken als auch bei Protestanten. Seit dem 9. Jahrhundert wurden Kirchenglocken überwiegend im Bronzeguss hergestellt, was einen gut nachhallenden Ton garantiert. Im 20. Jahrhundert wurden viele Glocken infolge der Weltkriege aus Ersatz-Legierungen — zum Beispiel Gussstahl — gegossen.
Dazu die Geschichte der evangelischen Stadtkirche an der Lintorfer Straße: 1856 bekam die Stadtkirche Kirchturm und Glocken. Das katholisch geprägte Ratingen hatte der Gemeinde im 17. Jahrhundert nämlich nur einen Dachreiter mit zwei Glocken erlaubt. Die vier neuen Glocken von 1856, vom Unternehmer Brügelmann gespendet, waren ihrerseits eigentlich für eine katholische Kirche gedacht gewesen. Doch nun läuteten sie primär für die evangelische Bevölkerung.
Aber 1917 wurden sie vom Militär beschlagnahmt, unter Anteilnahme der traurigen Gemeinde zerschlagen und zum Einschmelzen für Kriegszwecke abtransportiert. Nur die kleinste Bronzeglocke blieb im Turm. Binnen eines halben Jahres brachte dann 1921 ein „Glockenverein“ das Geld für drei neue Stahlglocken auf. Sie wurden beim „Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation“ gegossen, erklangen zum ersten Mal bei einem feierlichen Gottesdienst am 3. Juli 1921 und sind immer noch im Dienst.
Die Dachreiter für Glocken — wie auf der evangelischen Kirche — waren schon im Mittelalter üblich, sie wurden auf Klosterkirchen und später auch auf anderen Gotteshäusern platziert. Seit dem 10. und 11. Jahrhundert entstanden hohe, zum Tragen des Glockenstuhls errichtete Türme. Kirchtürme standen häufig neben der Kirche.
In Ratingen gibt es einige Varietäten an Glockenstuben; Herz Jesu und die Friedenskirchen lassen mit gläserner Verhüllung tiefe Einblicke zu, St. Peter und Paul verbirgt bis zur Reinigung hinter Lamellen und Gemäuer einiges an Schmutz, toten Tauben und deren Hinterlassenschaften, in Tiefenbroich wird die Standfestigkeit im Auge behalten. Hinter dem Arkadenhof befindet sich die „Verkeshirdenplastik“ von Ulrich Grenzhäuser. Bei diesem Werk geht es um die fast vier Tonnen schwere Marienglocke (auch Märch genannt) aus dem 15. Jahrhundert, für deren Abbildung der Künstler vor 20 Jahren einen Abguss der tatsächlichen Glocke gemacht hat.
Mit dem vollen Geläut zum Weihnachtsfest ist es nicht getan. Das alte Jahr wird nächste Woche in den einzelnen Kirchen zwar unterschiedlich, aber dennoch mit Läuten in den letzten fünf Minuten beendet, mit mächtigem Getön in den ersten Minuten das neue Jahr begrüßt.
Und die Homberger, Spezialisten in ökumenischer Glaubensgestaltung, werden den Neujahrstag mit dem beliebten „Beiern“, dem manuellen Anschlagen der Glocken, in festgelegten Rhythmen krönen.