Tönisheide: Mit Humor gegen die Krise
Die Jecken setzten am Rosenmontag den schlechten Wirtschaftsnachrichten ironische Kommentare entgegen. Tausende feierten am Straßenrand mit.
Tönisheide. Geht doch: Als Zugleiter Werner Schween fast pünktlich um 13.11 Uhr mit dem Fässchen der KG Zylinderköpp auf die Wülfrather Straße einbiegt, zeigt sich tatsächlich mal die Sonne. Haben die Narren am Straßenrand gerade noch einen fiesen kalten Schauer abbekommen, so lassen die Karnevalisten jetzt großzügig Kamelle auf die Zuschauer des Rosenmontagszugs regnen. Trotz durchwachsenen Wetters säumen die Narren zahlreich die Zugstrecke - was ein echter Jeck ist, lässt sich vom Feiern nicht abhalten.
Allen Sorgen um die Zukunft des Velberter Hauses und ihrer Arbeitsplätze zum Trotz hat die Hertie-Belegschaft einen Wagen gebaut und zieht mit in den Umzügen in Tönisheide und der Stadtmitte. "Sind die Mieten auch noch so teuer... feiern wir trotzdem heuer und wagen dieses Zwergenabenteuer", spielt das Motto auf die hohen Mietforderungen des britischen Eigentümers Dawnay Day an, die es angeblich erschweren, Investoren für die verbliebenen Filialen zu finden.
In viertägiger Arbeit wurde der Lkw unter Federführung der Hausdekorateure in einen bunten "Garten" verwandelt, der jetzt von 35großen und kleinen Zwergen - Mitarbeitern mit ihren Familien, Kindern und Freunden - bevölkert ist. "Wir wollen damit auch ein Zeichen setzen: Hertie gehört zu Velbert", sagt Geschäftsführer Nils Juchner.
In dieser Woche wird eine Entscheidung erwartet, ob es mit Hertie weitergeht. "Wir können die Situation nicht beeinflussen. Unser Haus funktioniert gut, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und sind eine super Truppe", so Juchner.
"Börsenkrise, Unfähigkeit der Manager, Gesundheitsreform: Alle Krisen vergehen, aber wir werden Baden gehen" setzt auch die KG Boum haul Pool mit ihrem Wagen den schlechten Nachrichten karnevalistischen Humor entgegen. In geringelten Ganzkörperbadeanzügen begleitet die Truppe ihren rollenden Badezuber.
Mit spitzen Hüten und langen Nasen haben sich die ASV-Frauen als Hexen ausstaffiert - bester Stimmung ziehen sie an den Tönisheider Jecken vorbei. Die KAB Neviges, die in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert, hat ein großes Schiff vom Stapel laufen lassen und meint "Wir sitzen alle in einem Boot".
Mit vollen Händen wirft Prinzessin Jenny I. Kaubonbons und Popkorn unters jecke Volk. Knalleffekt beim Prinzenwagen: eine Konfetti-Kanone, die buntes Glitzerpapier verschießt.
Der Bürgerverein Tönisheide zieht in Musketier-Outfits mit, die CDU kann sich im Kommunalwahljahr eine politische Anspielung nicht verkneifen und textet "Gemeinsam. Nicht anders". Die SPD hingegen fehlt diesmal am Rosenmontag - "organisatorische Panne", sagt Geschäftsführer Volker Münchow.
Ob sich Parteien zanken, interessiert Victoria (3) und Katharina (5) herzlich wenig. Wichtiger sind ihnen leckere Kamelle. Als Pirat und Prinzessin sind sie mit ihren Eltern Susanne und Jan Wywiol von der Wuppertaler Stadtgrenze zum Zug nach Tönisheide gekommen. "Es ist einfach ein schöner Kinderzug. Die Kinder können ganz vorne stehen und bekommen richtig etwas mit", sagt Susanne Wywiol.
In sicherem Abstand, aber fröhlicher Stimmung verfolgt Woldemar Rösner das bunte Treiben - wie jedes Jahr. "Wenn wir im Ort schon so eine schöne Sache haben, solle man sich das auch ansehen. Die geben sich immer so viel Mühe", sagt der 80-Jährige.
In der Stadtmitte nimmt beispielsweise die KG Urgemütlich Geld verschleudernde Bänker aufs Korn, das Wikingerboot der Marinekameradschaft segelt gegen die Finanzkrise an, das Projekt Kriegerheim feiert "Weltwirtschaftskrise scheißegal". 18.000 bis 20.000 Zuschauer säumen dort den Zugweg, 4.500 bis 5.000 sind es in Tönisheide, 4.000 morgens in Langenberg. Damit sind die Züge deutlich besser besucht als 2008. Unfälle wurden nicht gemeldet, alles lief aus Sicht der Organisatoren reibungslos.