Die Grabenkämpfe in der AfD — und mittendrin Vertreter aus dem Kreis

Die WZ hat Protokolle einer Whats-App-Gruppe von Mitgliedern der Partei ausgewertet. Axel Bähren, der auf dem aussichtsreichen Listenplatz 20 für die NRW-Wahl steht, hat nicht nur Freunde.

Foto: dpa/AfD/bsen (Archiv)

Kreis Viersen. Was macht eigentlich die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD) im Kreis Viersen? Besonders öffentlichkeitswirksam treten der Kreisverband und die Ortsvereine im Vergleich zu anderen Parteien nicht auf. Dennoch bemühen sich die führenden AfD-Vertreter im Kreis nach WZ-Recherchen auch im Landesverband um Einfluss. Morgen steht der nächste Landesparteitag an. Zu ähnlichen Anlässen traten im vergangenen Jahr immer wieder Männer aus dem Kreis Viersen in Erscheinung.

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Ein Rückblick: 5. September 2016, später Vormittag: In einer Whats-App-Gruppe der AfD in NRW diskutieren Mitglieder der rechtspopulistischen Partei. Der Parteitag in Werl steht an. Es geht um Listenkandidaten für die Landtagswahl 2017. Die rund 40 Mitglieder der Chat-Gruppe haben klare Vorstellungen, wer aufgestellt werden soll und vor allem, wer nicht.

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Um 12:11 Uhr meldet sich Dirk Schlomski zu Wort, Stadtratsmitglied in Nettetal und Kopf der AfD im Kreis Viersen: „Wo ist das Problem??? Wir besetzen die Mikros und alles ist gut — ich bin der erste mit ner Frage, brauchen dann noch fünf und die Fragen sind unser.“ Wie aus dem Protokoll dieses Chats hervorgeht, soll so ein eigener Kandidat für die Liste auf dem Parteitag vor kritischen Fragen der parteiinternen Konkurrenz geschützt werden. Der Beitrag zeigt, wie die Gruppe funktioniert. Mit gezielten Absprachen sollen offenbar möglichst viele von der Chat-Gruppe gewünschte Mitglieder zu Kandidaten gekürt werden. Und Dirk Schlomski ist mittendrin.

Ein weiterer AfD-Kopf aus dem Kreis Viersen, um den es im Chatverlauf geht, ist Axel Bähren. Der ehemalige evangelische Pfarrer in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Geldern-Pont wohnt in Nettetal-Lobberich. Er ist zwar nicht Mitglied der Gruppe, dafür aber zentrales Thema des Austauschs. Denn er ist Gegner der Schlomski-Gruppe.

Dirk Schlomski, AfD-Vorsitzender im Kreis Viersen, über Axel Bähren, prominentes Mitglied aus dem Kreis Viersen

Eigentlich sollte nie jemand von dieser Konversation erfahren. Doch das Nachrichtenmagazin „Stern“ hat ein knapp hundert Seiten langes Protokoll veröffentlicht, das den internen Schriftwechsel dokumentiert. Die WZ hat das Protokoll mit Blick auf die AfD im Kreis Viersen ausgewertet.

Das Protokoll offenbart die Zerrissenheit der AfD in NRW. Es gibt zwei Lager. Eins unterstützt Parteichef Marcus Pretzell, der mit der AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry liiert ist. Zu Pretzells Unterstützern gehört die Chat-Gruppe. Gegenüber stehen die Pretzell-Kritiker — in der Chat-Gruppe als „Patriotische Plattform“ tituliert. Hier lässt sich Axel Bähren einordnen.

Bei den Landesparteitagen an den ersten beiden Septemberwochenenden werden die Gräben deutlich. Fast jede Abstimmung über Plätze auf der Liste für die Landtagswahl gerät zum Duell der Lager. Bis Platz 19 sieht es für die Pretzell-Unterstützer meist gut aus. Ihre Leute gewinnen die Wahlen. Wohl auch dank der Chat-Gruppe, die sich während der Tagung per interner Kommunikation austauscht.

Kurzfristig besprechen die Mitglieder des Verbunds, wie sie noch auf neutrale Stimmberechtigte Einfluss nehmen können oder beschließen, Mikrofone im Saal zu blockieren, um die Konkurrenz an Kritik zu hindern. Kurz vor der Abstimmung über die Besetzung von Platz 20 verheddert sich die Gruppe in ihrem eigenen Chat — zu viele Nachrichten, zu viele Details.

Unterdessen wählen die Delegierten Axel Bähren auf den aussichtsreichen Listenplatz. Die AfDler in der Chat-Gruppe sind fassungslos. Ein Mitglied bezeichnet Bährens Rede als „befremdlich“. Eine Kollegin nennt die Wahl Bährens einen „Supergau“. Vor der Abstimmung warnten noch einige Gruppenmitglieder vor Bähren. Unter anderem Dirk Schlomski: „Bähren geht überhaupt nicht, nicht wählbar. . .“ Auch Mario Mieruch, Pretzell-Stellvertreter und angeblich Vertrauter des Chefs, äußert sich zum Ex-Pfarrer. Mieruch nimmt in der Gruppe die Rolle des Wortführers ein: „Wenn bähren und bochmann durchkommen, später vllt. Noch eckert, dann haben wir es geschafft. Dann ist der laden am Arsch“ (Anmerkung der Redaktion: Bochmann und Eckert sind ebenfalls Vertreter der Pretzell-Gegner).

Corinna Bülow, Vorstandsmitglied der AfD in Mönchengladbach

Besonders interessant ist die Diskussion über die Personalie Bähren einige Tage nach der Wahl. Zwei Gruppenmitglieder vergleichen den Nettetaler Ruheständler mit Wolfgang Gedeon. Der Politiker flog im Sommer aus der AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg. Ihm wurden unter anderem antisemitische Äußerungen vorgeworfen. Als ein Chat-Teilnehmer nach konkreten Beweisen zu den „Gedeon-Vergleichen“ fragt, kommt der Name Schlomski ins Spiel. „Ne, bis jetzt nicht. Ich hoffe ja auch immer noch, dass es nicht stimmt. Die Aussagen stammten damals wohl von Herrn Slomski“, kommentiert Christian Loose, AfD-Funktionär aus Bochum. Dem Gesprächsverlauf nach meint er Schlomski und hat den Namen lediglich falsch geschrieben. Corinna Bülow, Vorstandsmitglied der AfD in Mönchengladbach, antwortet: „Also, wenn Schlomski das sagt, dass er entsprechende Bilder von Bähren hat, dann ist das auch so. Hätte er sein IPhone nicht gewechselt, wäre das Beweismaterial auch noch da.“

Welche Bilder und Aussagen gemeint sind, geht aus dem Protokoll nicht hervor. Eins ist sicher: Einige Parteimitglieder sind zumindest davon überzeugt, dass es Material gibt, mit dem sie Bähren politisch schaden können.

Kontrovers diskutiert die Gruppe über den optimalen Umgang mit Bähren. Es gibt Überlegungen, ihn nicht in eine zukünftige Landtagsfraktion aufzunehmen. Der Plan wird verworfen. Die Angst vor dem Imageschaden für die gesamte Partei ist zu groß. Später gibt es Überlegungen, eine erneute Abstimmung über den Listenplatz Bährens zu erwirken. Auch diese Idee verwerfen die AfD’ler. Gabriele Walger-Demolski, Kreissprecherin der AfD in Bochum, fasst die Haltung der Gruppe zusammen: „Listenplätze wieder auf machen geht gar nicht! Auch nicht den von Herrn Bähren. Entweder stellt sich raus da ist was dran, dann ist es ein Fall für die Vertrauens Leute, deren Aufgabe ist es Schaden von der Partei ab zu halten. Oder man findet nichts dann ist Ruhe angebracht.“

Axel Bähren, Ex-Pfarrer und AfD-Politiker

Die WZ hat beide Akteure aus dem Kreis Viersen — Dirk Schlomski und Axel Bähren — um eine Stellungnahme zum Inhalt des Chat-Protokolls gebeten. Schlomski blockt am Telefon ab. Er möchte sich nicht öffentlich äußern. Axel Bähren ist auskunftsfreudiger: „Intern ist alles geklärt.“ Als er von den Anschuldigungen in der Chat-Gruppe erfahren habe, sei er betroffen gewesen. „Aber da ich Christ bin, trage ich nicht nach. Das habe ich mit der Muttermilch aufgesogen“, so der frühere JVA-Seelsorger.

Die Vergleiche mit dem offenbar antisemitischen Wolfgang Gedeon seien haltlos. „Ich bin ein Israel-Freund ohnegleichen“, sagt Bähren. Er sei vier Mal in Israel gewesen und habe vier Mal die Gedenkstätte des Konzentrationslager Auschwitz besucht. Das könnten nur wenige Deutsche von sich behaupten.

Auch zu Türken habe er als Gefängnis-Pfarrer in Pont ein gutes Verhältnis gehabt. Viele muslimische Familien hätten ihn aus Dankbarkeit beschenkt.

Angesprochen auf die Existenz einer „Patriotischen Plattform“, in der sich auch Bähren und andere Pretzell-Gegner organisiert haben sollen, bricht der Nettetaler in schallendes Gelächter aus. Eine solche Gruppe gebe es nicht. Was es allerdings auf jeden Fall gibt, ist eine Homepage (patriotische-plattform.de), auf der auch Stellung zu den Vorgängen auf den NRW-Parteitagen genommen wird.