Brecht in Szene gesetzt
Schüler zeigen ein Drama, das im Jahr 1945 in den Wirren des Krieges spielt.
Kempen. Erst ein Sprung in die Zukunft, dann in die Vergangenheit: Im Jahr 2065 wird in Georgien die 25-jährige Mitgliedschaft in der „Eurasischen Union“ gefeiert. Anlässlich dieses Staatsaktes führen Schauspieler Bertolt Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“ auf, der 1945 in Georgien spielt.
In den Revolutionswirren Ende des Zweiten Weltkrieges wird ein Gouverneur gestürzt und ermordet. Seine Frau flüchtet vor den feindlichen Truppen und sorgt sich mehr um ihre teuren Kleider als um ihren Säugling, den sie schließlich zurücklässt. Die Dienstmagd Grusche (Nicole Weber) nimmt sich des Kindes an und flüchtet mit ihm in die Berge.
Der 17-köpfige Literaturkurs, bestehend aus Oberstufenschülern des Thomaeums, setzt gekonnt Brechts Drama in Szene. Unter der Leitung von Lehrerin Brigitte Nienhaus wird nach den strengen Regeln des Epischen Theaters agiert. Brecht möchte durch den Verfremdungs-Effekt (kurz V-Effekt) den Zuschauer immer wieder spüren lassen, dass es sich nur um eine Inszenierung handelt. Dadurch will er das emotionale Abtauchen des Zuschauers in das Stück unterbinden, um ihn so zu einem kritischen und unabhängigen Beobachter zu machen.
Elemente dieser Stilrichtung sind zum Beispiel ein funktionales, einfaches Bühnenbild oder der sichtbare Rollentausch auf der Bühne. So verwundert es nicht, dass gelegentlich die Souffleuse auf die Bühne kommt, oder dass die Erzählerin (Lisa Börnig) in verschiedene Rollen schlüpft. Nachdem Grusche mit dem Kind zu ihrem Bruder (Malte Pawlik) geflüchtet ist, heiratet sie den scheinbar totkranken Jussup (Valon Salihu) auf dem Sterbebett. Sie erhofft sich dadurch gültige Papiere für sich und ihr Kind. Doch kaum ist der Krieg vorbei, erfreut sich ihr Ehemann bester Gesundheit.
Grusches Verlobter Simon (Lennard Pins) kehrt aus den Kämpfen zurück, und auch die Gouvernersfrau (Lisanne Küppers) taucht wieder auf. Diese will nun das Kind zurück, wobei es ihr hauptsächlich auf das Erbe ankommt. Über den Fall soll Azdak (Philipp Loyen) entscheiden, der ohne juristisches Wissen während der Revolution auf dem Richterstuhl gelandet ist. Er lässt seinen Gehilfen (Lauritz Novotny) einen Kreidekreis um das Kind ziehen. Um die Mutterschaft zu klären, sollen beide Frauen gleichzeitig versuchen, das Kind aus dem Kreis zu sich zu ziehen. Wer wird gewinnen?
Mit dem „Kaukasischen Kreidekreis“ verabschiedet sich Nienhaus nach 19 Jahren Schultheater und über 60 Stücken vom Thomaeum.