Deutsches WM-Drama: So erlebte Kempen das Aus beim Public Viewing

Stummes Entsetzen herrscht auf dem Buttermarkt nach der Niederlage des deutschen Teams.

Kempen. Ernüchterung. Enttäuschung. Entsetzen. Als die Glocken von St. Marien um 18 Uhr läuten, ist es auch der Abgesang auf die Deutsche Fußballnationalmannschaft. Gruppenletzter. WM-Aus. Nicht einmal unverdient.

Foto: Kurt Lübke

Nichts war, nichts ist kroosartig. Weder die Stimmung auf dem Platz im fernen Kasan, nicht beim Public Viewing auf dem Buttermarkt. Kaum ein Stimmungsfunke springt in zwei Halbzeiten plus zehn Minuten Nachspielzeit über. In Kempen wird das 2:0 von Südkorea, ja Südkorea, gegen den amtierenden Weltmeister, der seine Ablöse vorzeitig eingeleitet hat, von einigen sogar mit hämischen Lachern quittiert. Bei den meisten herrscht aber fassungslose Leere. Keine Worte für den Frust der Fan-Seelen.

Deutschland gegen Südkorea: Die Blamage in Bildern
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Mittwochmorgen, 11 Uhr, hatte Christoph Wefers vom Falko vor seinem Lokal noch gemütlich einen Kaffee getrunken und auf den sonnenbeschienenen, aber noch wenig gastronomisch genutzten Buttermarkt geschaut. Sein weißes Trikot hatte er bereits übergezogen, auch wenn sich Fans zur frühen Vormittagsstunde noch nicht zeigten.

„Mal sehen, was es gibt“, sagte er und meinte damit wohl zweierlei: das bevorstehende WM-Spiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Südkorea und den Zuspruch der Gäste zum Nachmittags-Anpfiff. Optimismus überwog aber fünf Stunden vor dem letzten Gruppenspiel: „Das schaffen wir!“

Der WM-Schock von Kasan: Deutschland trauert, Deutschland zittert
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Meint auch Jens Baeseler. Er steht bei Spielbeginn hinterm Tresen im Falko, zapft ein Pils nach dem anderen und tippt auf ein 3:0 für Deutschland. Alle Sitzplätze open air sind längst besetzt. Die Stadion-Wurst für 2,50 Euro vom Grill läuft. Es herrscht gesellige Erwartung vor vier Fernsehern, wie an den Tischen mit TV-Blick vom Marktgrill nebenan.

David Quillon und sein Kollege Salvatore wollen das Spiel bis zu ihrem Schichtbeginn in der Osteria Campunni schauen. Auch sie tippen auf Sieg. Aber kommentieren die erste Halbzeit mit „langweilig“.

Andrea aus Mönchengladbach, die am Stehtisch dahinter steht, hat sich extra einen halben Tag Urlaub genommen, um mit Hardy und Peter das Spiel in Kempen anzusehen.

Andrea hofft, Hardy hadert bei ungenauen Pässen, Peter ist nach der Nullnummer nach 45 Minuten schon sarkastisch: „Die Billard-WM in Viersen ist spannender.“

Auch auf der Peterstraße sitzen die Fußballfans vor den Fernsehern, am Mauli’s, Thomasschänke, Venga und Jeany’s. Hier kann ebenfalls schon zu Beginn der zweiten Halbzeit von Euphorie nicht die Rede sein. Sandra und Rasmus Drescher verfolgen das Spiel. „Die Stimmung ist zurückhaltender als sonst“, sagt Sandra. Eigentlich sind die Rahmenbedingungen perfekt. Wetter, Wurst und Getränke — alles passt. Nur ein Tor für die Deutschen will nicht fallen. Doch noch besteht Hoffnung.

Bei den Toren der Schweden regen sich die deutschen Fans. Vor allem auf. Es wird also tatsächlich wieder eng. Die Zeit wird knapp.

Auf dem Buttermarkt sagt Andrea: „Läuft bei uns. Rückwärts und bergab. Aber läuft!“ Der Spruch hat sie schon mal zum Lachen gebracht. Hier ist es ihr vergangen.

Jeder Ballverlust der Deutschen wird auf dem Platz mit Ohs oder stummem Entsetzen begleitet. Konter der Koreaner lassen das Adrenalin der deutschen Zuschauer steigen.

Ein kleiner Steppke im Müller-Trikot hat Zeit, Bierdeckel von den Marktgrill-Tischen zu sammeln. Er ist agiler auf dem Buttermarkt, als sein groß gewachsenes Vorbild, das eingewechselt wird.

Der erste Applaus des Nachmittagsspiels brandet auf, als Süle in der 79. Minute einen Konter der Südkoreaner abfängt. Als ZDF-Reporter Bela Rethy fragt, ob die Riesenenttäuschung noch abgewendet werden kann, zupft der ein oder andere schon mehr als besorgt an der schwarz-rot-goldenen Blumenkette. Nervosität statt Zuversicht, Bangen statt Brüllen vor Begeisterung,

Als das 1:0 und wenig später auch das 2:0 der Koreaner fällt und die Kameras in Russland glückselige Gesichter der Fans einfangen, steht das Fernsehbild im krassen Gegensatz zu dem Mienenspiel in Kempen.

Der Schlusspfiff ist mehr als einer nach einem Spiel. Er hat bei vielen die WM-Begeisterung abgepfiffen. Die ersten Fankappen liegen auf den Tischen. Jetzt ein Pils auf den Schreck.

Andrea ist enttäuscht, aber nicht bedient. Irgendwie fehlte die ersehnte Begeisterung, die die Nationalmannschaft unter Trainer Jogi Löw so oft vor 2018 entfacht hat. Jetzt scheint das Ausscheiden aus dem Turnier nicht unverdient. Andrea, Hardy und Peter zahlen. „Wir gehen jetzt ’was essen. Dann nach Hause. Gut is’“, sagt Andrea. Vielleicht wird sie sich noch das ein oder andere Spiel angucken. Vielleicht.