Kempen Hass und Hetze häufen sich weiter

Der Kempener Politologe Klaus-Peter Hufer setzt sich nahezu täglich mit populistischen Parolen auseinander. Ein Interview.

Foto: Salzburg

Kempen. 2016 war auch das Jahr der aggressiven Pöbelei im Netz. Eine Verrohung der öffentlichen Debatte bereitet vielen Sorgen. Für den Kempener Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer, der Trainings für Argumentationen gegen populistische Hetze anbietet, gehören Anfeindungen und Hass zum Alltag. Mit der WZ sprach er über die derzeitige Situation.

Herr Hufer, nach einem Interview in der Ruhrgebietszeitung „WAZ“ über Ihre Argumentationshilfen gegen populistische Hetze erhielten Sie jüngst eine heftige Reaktion. Ein Auszug daraus: „schon mal den Koran gelesen? wirklich? ganz? nenn mir einige Verse und Zitate, wo nicht gegen Ungläubige gehetzt wird. . . von Mordaufrufe mal ganz abgesehen. . . Kriminell sind sie schon wenn sie nur nach Deutschland kommen, denn es sind Sozialbetrüger und keine Flüchtlinge. . . soll ich noch weiter machen?? du Arschloch. . .“. Haben Sie darauf geantworten?

Klaus-Peter Hufer: In diesem Fall habe ich noch nicht geantwortet. Von dieser Person habe ich so viele hasserfüllte und anfeindende Mails bekommen, dass ich in Erwägung ziehe, Strafanzeige zu erstatten. Dazu haben mir einige geraten.

Hufer: Hetze und Hass erlebe ich regelmäßig. Es häuft sich, wenn ich Interviews im Fernsehen oder in einer Zeitung gegeben habe. Nach einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab es beispielsweise mehr als 90 Kommentare innerhalb weniger Minuten. Nur geschätzte fünf Prozent der Leser argumentierten gegen die Hetzparolen. Auch nach Veranstaltungen im Ruhrgebiet und am Niederrhein gibt es verbale Attacken. Es nimmt definitiv zu, weil sich gerade im Internet eine flächendeckende Hemmungslosigkeit ausbreitet.

Noch vor einigen Tagen habe ich in einer Grefrather Facebook-Gruppe erlebt, wie sorglos mit Begriffen umgegangen wird. Es ging um die WZ-Meldung, dass ein Mann, der im Willicher Schwimmbad vor Kindern sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hatte, gefasst worden ist. Es folgte der Post einer Frau: „Sofort kastrieren und ab ins arbeitslager.“ Ich merkte dann an, dass sich die Administratoren um solche Posts kümmern sollten. Dann folgten zum Teil Rechtfertigungen anderer, dass Begriffe wie „kastrieren“ und „Arbeitslager“ doch durchaus eine freie Meinungsäußerung seien. Wie soll man sich in so einer Diskussion verhalten?

Hufer: Bei jeglicher Hetze egal aus welcher Richtung im öffentlichen Raum — und ein solcher ist Facebook — sollte man in jedem Fall argumentativ dagegenhalten. Es empfiehlt sich kurz zu schildern, dass man anderer Meinung ist. Gleichzeitig sollte man sich auch wieder schnell aus der Debatte zurückziehen. Ein Luther-Zitat ist gar keine schlechte Anleitung: „Mach’s Maul auf, sprich’s gerade aus, hör’ bald auf!“

Gibt es denn viele Menschen, die derzeit dagegenhalten möchten?

Hufer: Ich erlebe in jedem Fall ein großes Interesse an dem Thema. Die Leute wollen wissen, wie man sich gegenüber populistischer Hetze verhält. Ich bin bereits bis September für Veranstaltungen dieser Art gebucht. Außerdem gibt es weiterhin ein großes Engagement von Ehrenamtlern in der Flüchtlingshilfe. Das darf man bei allem nicht vergessen.

Inwieweit wirkt sich der Anschlag von Berlin und der Umgang der Politik mit den Konsequenzen in der Flüchtlingsfrage aus?

Hufer: Das ist natürlich eine schwierige Situation. Viele Menschen sind angesichts des menschenverachtendes Terrors in der Arabischen Welt und quasi bei uns vor der Haustür enttäuscht und entsetzt. Da ist es verständlich, dass Unruhe aufkommt. Auch in diesem Bereich kommt es aber auf die Begrifflichkeiten an.

Wie meinen Sie das?

Hufer: Ich lese gerade ein hervorragendes Buch von der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Es heißt „Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet — und daraus Politik macht.“ Darin kritisiert sie Formulierungen in Politik und Medien wie „Der Terrorist war ein Flüchtling“. Sie schlägt vor, folgendermaßen zu formulieren: „Der Mann, der für den terroristischen Anschlag verantwortlich ist, hat sich unter geflüchtete Menschen geschmuggelt“.

Herr Hufer, im Oktober 2015 sprachen Sie in einem WZ-Interview davon, dass es eine „euphorisierte Willkommenskultur herrschte, die jetzt allmählich abebbt“. Wie schätzen Sie die Situation derzeit ein?

Hufer: Die Lage ist deutlich komplexer geworden. Wobei die Bilder mit den Blümchen am Münchener Hauptbahnhof die Lage nie wirklich widergespiegelt haben. Es sind viele Menschen nach Deutschland gekommen, denen wir helfen müssen. Und das wird unser Land immer weiter verändern. Darauf müssen wir uns einstellen. Wichtig ist, dass die demokratische Mehrheit stark und gefestigt gegenüber den radikalen Strömungen — und zwar aus allen Richtungen — auftritt.