Ukrainerinnen in Kempen „Mein Traum ist das Ende des Krieges“
Kempen · Beim Länder-Tag im Begegnungscafé an der Thomaskirche stand die Ukraine im Mittelpunkt.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 sind auch in Kempen zahlreiche Kriegsflüchtlinge angekommen. Anfang Juni zählte die ukrainische Community in der Stadt 493 Menschen; 411 sind dank umfangreicher Hilfe in privaten Wohnungen untergekommen. Um ihre Dankbarkeit zu zeigen, führen die aus der Ukraine Geflüchteten in Zusammenarbeit mit dem Team des Begegnungscafés Kempen am Freitag einen gemeinsamen Nachmittag durch – im evangelischen Gemeindezentrum an der Thomaskirche. Ein Gast von vielen: Kempens Bürgermeister Christoph Dellmans (parteilos).
Im überfüllten Saal spenden die Teilnehmer immer wieder begeistert Beifall. Besondere Highlights: der Auftritt einer Kindertanzgruppe, durch den Krefelder Kulturverein Kobsar im März 2024 gegründet, oder ein Film über die Geschichte der Ukraine – früher im Frieden, jetzt im Krieg. Dazu kommen die Präsentation von Kleidung mit traditionellen Stickmustern, gemeinsamer Gesang zu Gitarrenmusik und ein Büffet mit landestypischen Süßspeisen wie „Gebrochenes Glas“ (mit Banane und Götterspeise). Eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer des Krieges schließt die Darbietungen ab.
Ebenfalls beeindruckend: die Schicksale der hier versammelten Menschen. Da ist die Buchhalterin Olha (Olga) Soloviova (39) aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Kaum rollte der erste russische Panzer über die Grenze, meldete ihr Mann Maxim sich als Soldat: „Für ihn war klar, dass er seine Heimat verteidigen muss.“ Bomben- und Raketenangriffe setzten ein, und unter dem Stress der andauernden Explosionen erlag Olgas Kater Richard einem Herzschlag. Schließlich entschieden die Eheleute, dass Olga und Sohn Artem (13) das Land verlassen sollten. Artem besucht jetzt das Kempener Gymnasium Thomaeum. Seine Mutter bewarb sich in Deutschland als Buchhalterin und hat jetzt einen Job gefunden. „Zurzeit lerne ich weiter die Sprache, arbeite, erziehe meinen Sohn und warte auf meinen Mann. Mein Traum ist das Ende des Krieges.“
Buchhalterin ist auch Elena (Olena) Stepanenko (42). Ihr Mann, Ingenieur im Bereich Verkauf und Reparatur von Gabelstaplern, wurde im März 2022 zur Armee eingezogen. Als der Einberufungsbescheid auf dem Tisch lag, bat er seine Frau, aus dem unter Raketenbeschuss liegenden ostukrainischen Charkiw, wo jeden Tag der Angriff der russischen Armee erwartet wurde, ins sichere Deutschland auszuweichen.
Das tat sie dann auch – zwei Rucksäcke bildeten ihr ganzes Gepäck. Sohn Valerii (17) besucht mittlerweile das Berufskolleg Viersen, Neffe Maksym (17), das Liebfrauengymnasium in Mülhausen. Vor zwei Monaten hat Olena einen Job als Lohn- und Finanzbuchhalterin gefunden. „Ich bin dankbar für die Unterstützung und Sicherheit, die man uns in Kempen gewährt hat,“ sagt sie.
Und da ist Ianina Linska (41). Als Managerin pflegte sie in der Ukraine für ihr Unternehmen Beziehungen zu wichtigen Kunden. Im März 2022 in Deutschland angekommen, hat sie sofort einen Minijob gefunden, sucht aber weiter. Ihre Tochter Alina (17) besucht das Gymnasium Thomaeum in Kempen. Ianinas Mann arbeitete als Industriemeister in einer Fabrik: „Als der Krieg begann, stand er, ohne zu zögern, auf, um sein Heimatland zu verteidigen.“ Vor einem Jahr ist er als Soldat ums Leben gekommen.
Über viele geflüchtete Frauen und ihre Kinder könnte man noch berichten. Über die Diplomkauffrau Alla Senchylo, die im Juli eine Stelle als Marketing-Spezialistin antreten wird und deren Mann Igor in der Ukraine geblieben ist, weil er neben seiner Arbeit an der Beschaffung humanitärer Güter mitwirkt. Per Video kommunizieren sie täglich, aber: „Das ist nicht so einfach, denn zurzeit gibt es dort wegen der Beschädigungen durch feindliche Angriffe täglich nur sechs bis acht Stunden Strom.“
Oder über die Köchin Maria Soponiak (39), seit neun Jahren verwitwet, die alleine für ihre beiden Töchter Krystyna (18) und Andriana (16) sorgt. Ihr ältester Sohn Valentyn (23), berichtet sie, habe sich in den ersten Tagen der russischen Invasion zur Armee gemeldet. Maria hat die Sprachprüfung B1 abgelegt: grundlegende Fertigkeiten im Lesen, Schreiben und Sprechen. Sie traut sich aber nicht so recht, ihre erworbenen Deutschkenntnisse anzuwenden.
Das ist wohl der Grund, warum sie noch keinen Arbeitsvertrag schließen konnte. Deshalb absolviert sie vorerst ein Praktikum bei einem Kempener Landwirt. Alle Frauen aber betonen: „In Deutschland haben wir viele hilfsbereite Menschen kennen gelernt, die unsere Einstellung zu diesem Land geprägt haben.“