Behörden-Streit Rettungsdienst: Kreispolitik kritisiert Stadt Kempen

Kempen/Kreis Viersen · Für die Kempener Ablehnung des Rettungsdienstbedarfsplans zeigten die Fraktionen im Kreisausschuss wenig Verständnis. Nun entscheidet die Bezirksregierung.

Ein RTW verlässt das Gelände der Kempener Rettungswache. Derzeit hat die Stadt drei Fahrzeuge, die im Tag- und Nachteinsatz sind. Künftig soll es zwei Nacht- und ein Tagfahrzeug geben.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Politisch hat die Stadt Kempen ihren Kampf um den dritten 24-Stunden-Rettungswagen (RTW) auf der Wache an der Heinrich-Horten-Straße verloren. Einstimmig gab der Kreisausschuss dem von der Kreisspitze vorgelegten Rettungsdienstbedarfsplan und damit der Reduzierung von drei auf zwei 24/7-Fahrzeuge grünes Licht. Landrat Andreas Coenen (CDU) hatte für Donnerstagabend eine Dringlichkeitssitzung zu diesem Thema angesetzt. Eigentlich hätte der Plan schon im März vom Kreistag verabschiedet werden sollen. Die Einschränkungen der Corona-Krise hatten diesem Vorhaben aber einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Es liege ihm aber am Herzen, dieses wichtige Thema nun zügig weiterzubringen, so Coenen zu Beginn der Sitzung, an der acht Vertreter von CDU (4), SPD (2), FDP (1) und Grünen (1) teilnahmen. Die Vertreter von Freier Alternative und Die Linke mussten in dieser besonderen Konstellation außen vor bleiben, um die Mehrheitsverhältnisse des Kreisausschusses in dieser reduzierten Corona-Form abbilden zu können. Daher hatte sich der Kreistag in digitaler Abstimmung darauf verständigt, dass nur das Thema Rettungsplan behandelt wird.

Kempen verliert ein Fahrzeug, Tönisvorst bekommt eins hinzu

Zur Sache: Anhand eines Gutachtens und statistischer Erhebungen hat der Kreis Viersen in den vergangenen zwei Jahren am Rettungsdienstbedarfsplan gearbeitet. Unter anderem mit dem Ergebnis, dass die Kempener Wache künftig nur noch zwei 24/7-RTW und einen 12/7-RTW (Tagdienst) haben soll. Bis dato sind es drei „Rund-um-die-Uhr-Fahrzeuge“. Im Gegenzug soll die Mitte 2019 eröffnete Tönisvorster Wache, die vom Kreis Viersen betrieben wird, künftig zwei 24/7-Wagen haben. Bislang gibt es dort nur eins.

Die Stadt Kempen hatte ihre Ablehnung am Mittwoch an den Kreis Viersen geschickt (die WZ berichtete exklusiv). Beigeordneter Jörg Geulmann und Ordnungsamtsleiter Michael Steckel sehen die Gefahr, die Sicherheit der rund 50 000 Einwohner in Kempen und Grefrath, für das die Wache auch zuständig ist, nicht mehr gewährleisten zu können. Zumal die Zahl der Einsätze 2019 im Vergleich zu 2018 in Kempen und Grefrath gestiegen sei – in der Nacht um 9,35 Prozent.

Kempens Rechnung geht aus Sicht des Kreises nicht auf

Diese Rechnung geht aus Sicht des Kreises Viersen nicht auf. Das machten Dezernent Andreas Budde, der das Thema erst Anfang April von der freigestellten Dezernentin Katarina Esser übernommen hatte, und Kreisbrandmeister Rainer Höckels im Ausschuss deutlich. Die Kempener Zahlen basierten auf dem Ansatz des Dreisatzes, so Budde. Dieser könne angewendet werden, wenn die reinen Einsatzzahlen zwischen Kempen und Tönisvorst vergleichbar wären. Sind sie laut Budde aber nicht: „Einsatz ist nicht gleich Einsatz.“ Vor allem deshalb, weil diese in Tönisvorst häufiger länger dauern würden. Denn der RTW bringe Patienten meist nach Krefeld oder Kempen ins Krankenhaus, während die Kempener eben meist Kempen anfahren. Daher dauerten die Tönisvorster Einsätze in der Regel länger.

Höckels stützte die Argumente des Dezernenten damit, dass die Aufstellung des Bedarfsplans auf statistischen Werten basiere, die den Kreis Viersen als Ganzes betrachte und somit für alle Kommunen den selben Maßstab ansetze. Die statistische Bewertung der Einsätze basiere auf den Antworten auf drei Fragen: Wie häufig sind die RTW im Einsatz? Wie lange dauern die Einsätze? Wie oft gibt es gleichzeitig mehrere Einsätze?

Die Antworten in der statistischen Erhebung führen nun dazu, dass Kempen ein Nachtfahrzeug weniger vertragen kann, findet der Kreis Viersen. Denn der Dreiklang „Einsätze, Dauer, Gleichzeitigkeit“ sei im Vergleich zu Tönisvorst gesunken. Insbesondere bei der Gleichzeitigkeit sei die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses deutlich geringer als tagsüber.

Wie schon im Fachausschuss im Februar stützte die Politik die Verwaltung. „Die Dauer ist wichtig, nicht die Anzahl“, so Manfred Wolfers junior, der als Experte für den Bereich Rettungswesen/Feuerwehr für die CDU-Fraktion das Wort ergriff. „Der Rettungsdienstbedarfsplan erhält von uns volle Zustimmung.“ Der Grefrather merkte an, dass er von der „fehlenden fachlichen Auseinandersetzung“ der Stadt Kempen enttäuscht sei. „Die Stadt Kempen hätte diese Details schon längst verstehen können und müssen.“ Kreis-Fraktionschef Peter Fischer, der auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Kempener Stadtrat ist, äußerte sich in der Sitzung nicht. Die Kempener CDU hatte bereits am Donnerstagmittag via Facebook die Unterstützung der Kempener Stadtverwaltung zugesichert (siehe Info-Kasten).

Irene Wistuba, die für die FDP seit Jahren die Doppelrolle als Fraktionschefin in Kreistag und Stadtrat innehat, kritisierte die Kempener Verwaltung. „Ohne Corona hätten wir diesen Plan schon längst beschlossen. Von daher hatte die Stadt Kempen genug Zeit, sich mit dem Thema zu befassen.“ Sie habe sich sehr gewundert, die Details am Donnerstagmorgen in der WZ gelesen zu haben. „Die Situation hat sich seit Februar nicht verändert. Daher stimmt die FDP zu.“

Ähnlich sah es auch Jürgen Heinen (Die Grünen). Die Lage und die Argumente hätten sich nicht verändert. Mit Blick auf das Berechnungsmodell stützte Heinen den Kreisbrandmeister. Es müsse für alle Kommunen dasselbe gelten.

Auch von der SPD gab es Unterstützung für den neuen Rettungsdienstbedarfsplan. Allerdings schlug Fraktionschef Hans Smolenaers vor, noch einmal das Gespräch mit der Stadt Kempen zu suchen und dann endgültig im Kreistag am 14. Mai zu entscheiden. „Nach anfänglichen Schwierigkeiten vor zwei Jahren ist der Prozess harmonisch gelaufen. Es wäre schade, wenn das jetzt auf den letzten Metern kaputtgeht“, so Smolenaers.

Landrat Coenen hat kein
Interesse an weiterem Gespräch

„Es ist sicher immer richtig, zu reden“, entgegnete Landrat Coenen. Dies habe man auch mit der Stadt Kempen getan. So in einem Gespräch am 3. März, „aus dem unsere Mitarbeiter die mündliche Zustimmung der Stadt Kempen mitgenommen haben“, so Andreas Coenen. „Das man dies dann schriftlich anders sieht, ist nicht verboten.“ Mit anderen Worten: Der Landrat zeigt kein Interesse an weiteren Gespräch. Kempens Dezernent Geulmann und Ordnungsamtsleiter Steckel hatten am Mittwoch gegenüber der WZ bestritten, dass die Stadt in diesem Gespräch ein Zustimmungssignal gesendet habe.

Aufgrund der Einwände aus Kempen ist das Thema noch nicht vom Tisch. Nun muss die Bezirksregierung entscheiden, ob der Rettungsdienstbedarfsplan in Kraft treten kann. Oder ob Kempens Bedenken Gewicht finden müssen. Gleiches gilt für die Ablehnung der Verbände der Krankenkassen, die das Rettungswesen finanzieren. Von dieser Seite gibt es laut Andreas Budde bei vier Punkten Bedenken: Anzahl der Wachen, Funktion der Leitstelle, Quote Rettungssanitäter zur Besetzung der Wagen und Ausbildung von Sanitätern. Budde: „Wir gehen davon aus, dass wir durchkommen.“